Das innenpolitische “Erfolgsrezept”, gegen einen nicht näher spezifizierten äußeren Feind die Bevölkerung zu befragen, erreicht kommenden Sonntag einen neuen Höhepunkt. Mit dem Slogan “Schicken wir eine Botschaft nach Brüssel, damit auch sie es verstehen!” hat Ministerpräsident Viktor Orbán, eigentlich selbst Mitglied des Europäischen Rates, die Ungarn zur Abstimmung gerufen, um seine europäische Minderheitsposition – der Absage verpflichtender EU-Flüchtlingsquoten – eine direktdemokratische Unterfütterung zu verleihen.
Im Vorfeld des Votums hat die Regierungskampagne nicht mit fragwürdigen Vergleichen und Zuspitzungen gespart: Verpflichtende Quoten würden die Terrorgefahr erhöhen, die ungarischen und europäischen Werte und Gebräuche gefährden sowie die kulturelle, ethnische und religiöse Zusammensetzung des Landes verändern. In europäischen Großstädten mit hohem Zuwandereranteil gebe es bereits über 900 “No Go”-Zonen, die von der Polizei nicht mehr kontrolliert werden könnten. Vor dem Hintergrund solcher Bedrohungsbilder sollen die Ungarn nun folgende Frage beantworten: “Wollen Sie, dass die EU ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von ausländischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?”
Wählermobilisierung gegen Brüssel Dabei werden sich die rechtlichen Konsequenzen des Votums jedenfalls in Grenzen halten. Denn die bereits mit Mehrheit beschlossene Umverteilung von Flüchtlingen, mit der Verpflichtung Ungarns, 2300 (!) Flüchtlinge zu übernehmen, kann das Abstimmungsergebnis nicht beeinflussen. Eine verpflichtende Aufteilungsquote wiederum ist angesichts einiger nationaler Widerstände gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen derzeit wenig realistisch.
Orbán geht es aber vielmehr um Wählermobilisierung und um Ausbau der Themenführerschaft an der Spitze der Visegrad-Gruppe. Gegner ist – wie es Budapest propagiert – eine Brüsseler und westeuropäische Elite, die mit falsch verstandener Liberalität Europa in den Abgrund führt. Wie sich die aktuellen Entwicklungen derzeit wirklich darstellen, ist dabei Nebensache. Zudem soll das ständige Aufkochen des Flüchtlingsthemas in Verbindung mit übertriebenen Notstandsszenarien helfen, von Korruptionsvorwürfen und Problemen im Bildungs- und Gesundheitssystem abzulenken. Dennoch haben auch populistische Kräfte in anderen europäischen Ländern längst Lunte gerochen, ihrerseits mit der Forderung nach nationalen Referenden innenpolitisch Kapital zu schlagen und die Ablehnung gegen Regierungen wie EU zu schüren.
Polarisierung statt Kompromiss Polarisierende Angstkampagnen sind jedoch wohl das letzte, das wir brauchen können. Die Europäische Union war auf den Flüchtlingszustrom im vergangenen Jahr nicht vorbereitet. Aber das kann man ändern, indem man die Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten, gegenseitiges Verständnis und auch Solidarität wieder stärkt. Extrempositionen abzufragen, schürt dabei lediglich Verunsicherung und bringt uns nicht weiter. Wichtiger wäre es, für Ungarn wie auch für Österreich, sich auf die Suche nach tragfähigen Kompromissen zu machen und an deren Umsetzung aktiver als bisher mitzuarbeiten. Die Sicherheit der EU und ihrer Bevölkerung steht dabei im Mittelpunkt, in ebenso hohem Ausmaß jedoch auch die europäischen Werte und das Menschenrecht. Kooperation, nicht Konfrontation ist jetzt gefragt.
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