Ein turbulentes Jahr für Europa steht bevor (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Dieses Jahr hat es in sich. Der Brexit-Thriller, die Richtungswahl zum EU-Parlament, der steinige Weg zur gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik sowie diametral unterschiedliche Integrationsvorstellungen in Europas Hauptstädten sind nur einige der großen Brocken.

Der Brexit-Countdown läuft. Bis Ende März sollten die Briten wissen, was sie eigentlich wollen. Dann wird es auch für die EU ernst: Wie sieht eine Union ohne das Vereinigte Königreich aus? Für 9. Mai ist dazu ein Gipfeltreffen in Sibiu geplant, das konkrete Beschlüsse zur weiteren Integrationsrichtung, basierend auf den fünf Szenarien von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, bringen soll. Allerdings haben sich bisher nur wenige EU-Staaten an der Zukunftsdebatte aktiv beteiligt, die meisten hielten sich nobel zurück. Alles andere als Deklaratives würde folglich überraschen, womit jedoch die Blockade prolongiert und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU nicht wirklich gestärkt wäre. Realistischer scheint eine weitere Vertiefung der Eurozone – wenn auch in moderaten Schritten.

Die EU läuft somit Gefahr, sich auch 2019 vor allem mit sich selbst zu beschäftigen – nicht wirklich zugunsten ihrer geopolitischen Rolle. In dieser Phase übernimmt Rumänien den EU-Vorsitz. Eine Premiere für ein Land, das mit internationaler Kritik in Sachen Korruptionsanfälligkeit kämpft und innenpolitisch zerstritten ist. Der Slogan zum Vorsitz, “Zusammenhalt, ein europäischer Mehrwert”, scheint damit so gar nicht zu passen. Andererseits hat dieses Motto durchaus seine Berechtigung in einer ungleichen, sich selbst blockierenden EU. Ebenfalls von Relevanz wäre es gerade für Rumänien, die Folgen innereuropäischer Migrationsströme zu thematisieren. Denn nicht die Ein-, sondern die Auswanderung – mit mehr als drei Millionen Rumänen, die seit 2007 das Land verlassen haben – stellt es vor beachtliche Herausforderungen. Ein Problem, das auch andere EU-Staaten betrifft.

Wie sich die Zukunft der EU weiter gestaltet, hängt schließlich insbesondere von den EU-Wahlen von 23. bis 26. Mai ab. Die politischen Kräfteverhältnisse im EU-Parlament könnten sich in Richtung EU-skeptischer Positionen verschieben. Prognosen sagen eine Stärkung der politischen Ränder voraus, während die großen Fraktionen teils erheblich an Stimmen einbüßen dürften. Auch wenn die Karten im EU-Parlament neu gemischt werden, dürften integrationsfreundliche Kräfte dennoch eine klare Mehrheit behalten. Eine Momentaufnahme, auf die sich EU-freundliche Parteien jedoch nicht allzu sehr verlassen sollten.

Unter diesen Voraussetzungen wird die EU nach dem Sommer in einen heißen Herbst gehen, in dem sich die EU-Institutionen neu aufstellen werden. Die Zukunftsdebatte wird dadurch weiter angeheizt, ein Aussitzen immer schwieriger.

Die brennende Frage bleibt: Findet die EU ein Gegenrezept zu vermeintlichen nationalen Patentlösungen und kann sie den Mehrwert ihres Handelns glaubhaft vermitteln?

Vor diesem Hintergrund wäre eine optimistischere Debatte in den EU-Ländern jedenfalls ein guter Ansatz. Gerade auch in Österreich, wo sich das EU-Stimmungsbild als durchaus ambivalent erweist.