Welcher Brexit darf’s denn sein? (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Immerhin. Wir wissen aktuell zumindest, was Großbritannien nicht möchte. Eine stolze Leistung, nach drei Jahren Nachdenkzeit und 18 Monaten EU-Austrittsverhandlungen. Das zwischen der britischen Regierung und den EU-27 ausgehandelte Abkommen wurde bis dato zwei Mal im Unterhaus abgelehnt. Ähnlich geht es auch ins Spiel gebrachten Alternativen. Ein weicher Brexit in Form einer Zollunion findet ebenso keine Mehrheit wie ein Rückzug vom Brexit oder ein zweites Referendum. Einzig zu einem chaotischen, ungeregelten Austritt Großbritanniens sollte es nicht kommen, befindet Westminster.

Zu wissen, was man nicht will, ist ein guter Anfang. Aber es reicht eben nicht. Nachdem die angezählte britische Premierministerin Theresa May derzeit eine weitere Abstimmung über ihren Austrittsvertrag vermeiden möchte, weil es dafür aktuell keine Mehrheit gibt, sind nun die Parlamentarier in London am Zug. Auch wenn die parlamentarischen Abstimmungen nicht bindend sind, wären klare Mehrheiten ein Wegweiser, an dem eine britische Regierung, unter welcher Führung auch immer, nur schwer vorbeikommen könnte. Nur: Diese Mehrheiten gibt es derzeit (noch) nicht. Mit zunehmendem Zeitdruck könnte sich das ändern.

Währenddessen geben die EU-27 geschlossen den Takt vor und setzen klare Fristen, vor allem um sich gegen ein Überschwappen des britischen Chaos auf das Funktionieren der EU zu wappnen. Es ist mehr als eine mediale Finte, wenn sich die Europäische Union und ihre Mitglieder auf alle Eventualitäten eines schwer kontrollierbaren harten Brexit vorbereiten. Keine der beiden Seiten möchte diese Variante, trotzdem wird sie mit jedem Tag realistischer.

Es ist ein verantwortungsloses, emotional aufgeladenes Spiel der britischen Politik, in dem es um vieles geht, jedoch am wenigsten um faktenbasierte Problemlösung und den Wohlstand des Landes. Bis spätestens 12. April kann das Land seine Vorgehensweise nun definitiv festlegen. Ohne klare Beschlüsse folgt am Tag darauf ein ungeregelter Austritt mit schwerwiegenden Folgen, für die schon jetzt jeder dem anderen die Schuld zuschiebt.

Das Brexit-Beispiel wirkt zumindest abschreckend für jene in der Europäischen Union, die mit ähnlichen Strategien geliebäugelt haben. Ein politischer Hochrisiko-Gamble, bei dem in London mit dem Schicksal des Vereinigten Königreichs jongliert wird, während eine Million Menschen gegen den Brexit auf den Straßen demonstrieren und in kürzester Zeit sechs Millionen Briten eine Petition unterschreiben, die eine Absage des Brexit zum Inhalt hat. Ein Selbstzerstörungsprozess und Offenbarungseid einer politischen Klasse, die in ihrer Sackgasse mit dem Kopf immer härter gegen die Wand läuft, aber nicht mehr im Stande zu sein scheint, umzudrehen und selbstkritisch auch die eigenen Fehler einzugestehen.

Es stimmt schon. Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden – in europäischer Tradition – erst dann getroffen, wenn man zum Sprung über die Klippe ansetzt. Fünf vor zwölf ist es noch nicht. Aber die Uhr, die tickt.