Der ökonomische Irrweg der Zombie-Jäger (Gastkommentar, Der Standard)

Notenbanken, EU und Nationalstaaten haben in gewaltigen Größenordnungen Maßnahmen gegen den durch die Corona-Pandemie ausgelösten dramatischen Wirtschaftseinbruch gesetzt. Dagegen mehren sich nun speziell im deutschsprachigen Raum kritische Stimmen. Unter Bezug auf das vom bedeutsamen österreichisch-amerikanischen Ökonomen Josef Schumpeter entwickelte Konzept der “schöpferischen Zerstörung” wird vor “Zombie-Unternehmen” und dem Entstehen einer “Zombie-Ökonomie” gewarnt. Die Krisenmaßnahmen zur Rettung “nicht lebensfähiger Unternehmen” würden den für die wirtschaftliche Dynamik notwendigen Prozess der “schöpferischen Zerstörung” verhindern.

Hier ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Zunächst bezieht sich das von Josef Schumpeter in seinem wichtigen Werk “Capitalism, Socialism and Democracy” 1942 dargestellte Phänomen der “schöpferischen Zerstörung” nicht auf die Bekämpfung von Wirtschaftskrisen, sondern auf langfristige technologisch bedingte Strukturwandlungen. Neue Wirtschaftsformen entstehen, alte sterben ab. Beispiel bei Schumpeter war etwa die Wirkung des Eisenbahnbaus auf das Verkehrswesen, für heute relevant wäre etwa die Entwicklung elektronischer Kommunikationsformen. Den durch grundlegende technologische Entwicklungen bedingten Wandel von Wirtschaftsstrukturen durch Maßnahmen der Struktur- und im speziellen Technologiepolitik zu unterstützen ist zweifellos sinnvoll.

Hayek, nicht Schumpeter

Die Einwände der “Zombie-Jäger” sind freilich bei konkreter Betrachtung nicht auf Schumpeter, sondern auf Friedrich von Hayek zurückzuführen, und die Diskussion zwischen ihm und John Maynard Keynes während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre. Hayek sprach sich damals gegen eine aktive Stabilisierungspolitik aus und plädierte für alleiniges Vertrauen in die Selbstheilungskräfte von Märkten und die “Reinigungsfunktion” von Krisen. Bekanntlich hat sich in den Staaten, die diesen Maximen folgten, die Krise dramatisch verschärft. Statt “schöpferischer Zerstörung” gab es nur Zerstörung. Dies hatte katastrophale Effekte für die Arbeitsmärkte mit zum Teil verheerenden politischen Folgen.

Auf einzelwirtschaftlicher Ebene stellt sich die Frage, was eigentlich unter einem “Zombie-Unternehmen” zu verstehen sei. Nun gibt es in der Tat Unternehmen, die auch bei guter Wirtschaftslage keine Überlebenschancen haben. Im Konkreten kann sich das meist erst bei tatsächlicher Verbesserung der Wirtschaftslage herausstellen; dann ist das Wirken eines marktwirtschaftlichen Selektionsmechanismus auch durchaus sinnvoll.

“Zombies” sind kein zentrales Problem

Im jetzigen tiefen weltwirtschaftlichen Einbruch stellen die so definierten “Zombies” aber kein zentrales Problem dar. Speziell in Zeiten massiver Arbeitslosigkeit ist nicht zu erwarten, dass hier der Wirtschaft benötigte Arbeitskräfte vorenthalten werden, wie manche “Zombie-Jägern” befürchten.

Ein massives und relevantes Problem ist dagegen die Gefahr, dass eine nachhaltige Verschlechterung der Bilanzstrukturen wirtschaftlich produktiver Unternehmen wirtschaftliche Dynamik reduziert. Längerfristig krisenbedingte Verluste führen zu einem Anstieg der Verschuldung der Unternehmen und zur Erosion des Eigenkapitals. Selbst dort, wo dies nicht zum Konkurs führt, wird ein größerer Schuldendienst einen Rückgang der Investitionsausgaben erzwingen. Nach Schätzungen der Europäischen Investitionsbank kann dies für die europäischen Unternehmen zu einem Rückgang der Investitionen um mehr als 50 Prozent führen. Dies würde nicht nur die Krise verlängern, sondern vor allem auch langfristig die wirtschaftliche Dynamik und die Fähigkeit zum Strukturwandel massiv beeinträchtigen.

Genesungsprozess in Gefahr

Es war und ist daher richtig, vonseiten der Notenbanken durch niedrige Zinssätze und vonseiten der Finanzpolitik durch Stützungsmaßnahmen wirtschaftliche Zusammenbrüche mit ihren kumulativen Folgen im Rahmen des Möglichen zu verhindern. So wie bei einer ärztlichen Behandlung ein zu frühes Absetzen einer Therapie den gesamten Genesungsprozess vereiteln kann, so wäre es auch gefährlich, zu früh die öffentlichen Stabilisierungsmaßnahmen abzusetzen. Es ist richtig, dass bei einer Behandlung auch Suchtgefahren auftreten können. Darauf ist sinnvoll aber erst bei absehbarer Genesung durch entsprechende Dosierung zu reagieren.

Für eine dauerhafte Genesung sind freilich auch Stärkungsmaßnahmen nötig. Das bedeutet im Bereich der Wirtschaftspolitik vor allem die Notwendigkeit, das Problem des Schuldenüberhanges in wirtschaftlich “kompatiblen” Formen zu lösen. Speziell gilt das auch für den großen Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen. Hier kann es etwa um geordnete Sanierungsverfahren gehen, die eine Weiterführung von Unternehmen ermöglichen, oder um Formen der Eigenkapitalzufuhr, sei es über Kapitalmärkte oder Maßnahmen der öffentlichen Hand, wo freilich spezielle Sensibilitäten zu beachten sind.

Ein interessantes Beispiel für eine entsprechende Initiative stellt ein in öffentlich-privater Partnerschaft betriebenes Beteiligungsprojekt in Wien dar, das auch Muster für gesamtstaatliche Modelle sein könnte. Zweifellos besteht in Bezug auf die Wiederherstellung stabiler Finanzstrukturen noch erheblicher Diskussions- und Innovationsbedarf. Wichtig ist aber jedenfalls, nicht einem Hayek’schen Sozialdarwinismus zu folgen, sondern nach konstruktiven Lösungen zu suchen, um den schweren Wirtschaftseinbruch infolge der Corona-Pandemie zu überwinden.