Klimaschutz: Die Geldbörse als Korrektiv (Interview Ewald Nowotny, Wiener Zeitung)

Klimaschutz ist auf der politischen Agenda oben angekommen. Darüber, ob das Thema alle anderen überstrahlen oder neben anderen wie Standort, Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit stehen soll, gehen die Ansichten stark auseinander.

Darüber und über die Rolle der Zentralbanken sprach die “Wiener Zeitung” mit Ewald Nowotny (75), Ökonom und Ex-Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Der langjährige SPÖ-Politiker ist heute Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.

“Wiener Zeitung”: Die Blütezeit der politischen Unabhängigkeit von Notenbanken sei vorbei, erklärt der Chefökonom der US-Investmentgesellschaft Pimco, Joachim Feld. Tatsächlich twittert nicht nur US-Präsident Trump unverdrossen gegen Jerome Powell, den Vorsitzenden der Fed. Auch in der Türkei und Indien hat sich die Regierung Zugriff auf die Notenbank verschafft.

Ewald Nowotny: Hier ist Differenzierung notwendig. Was etwa den Euro-Bereich angeht, so gibt es keine Notenbank der Welt, die so unabhängig ist wie die Europäische Zentralbank. Die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist ja kein Naturgesetz, sondern fußt stets auf einem nationalen Gesetz, das entsprechend immer auch geändert werden kann. Im Fall der EZB ist das in den EU-Verträgen festgeschrieben, und wir wissen, dass in diesem Bereich eine Änderung der EU-Verträge realpolitisch praktisch unmöglich ist. Das stärkt natürlich die Position der EZB.

Sie argumentieren juristisch. Man könnte auch sagen, dass die Debatte über die Rolle der Zentralbanken mit neuen Anforderungen zu tun hat. Es ist das eine, sich um die Geldwertstabilität zu kümmern, aber etwas ganz anderes, die Balance gigantischer Schuldenberge in und zwischen den Währungsräumen zu managen.

Ja, Letzteres hat tatsächlich weitreichende wirtschaftspolitische Implikationen, es entspricht aber ebenso der grundlegenden Aufgabenstellung einer Notenbank, für Stabilität an den Finanzmärkten zu sorgen. Das hat sich etwa im Zuge der Finanzkrise 2008 gezeigt, als es nicht unmittelbar um Preisstabilität ging, sondern darum, den Zusammenbruch der weltweiten Finanzmärkte zu verhindern. Notenbaken können hier aber nur als Feuerwehr agieren, die grundlegenden Dinge wie Regulierungen von Finanzmärkten und Bankenvorschriften bleibt Aufgabe der Politik.

Damit die Zinsen im Euroraum wieder erhöht werden können, müssten die Euro-Staaten ihre nationalen Hausaufgaben im Bereich struktureller Budgetprobleme und Wachstum erledigen. Doch die Regierungen kommen vom billigen Geld zur Budget- und Schuldenfinanzierung nicht los. Faktisch ist die EZB deshalb nicht frei und unabhängig, die Zinsen zu erhöhen.

Natürlich gibt es ökonomische Zwänge, und diese gelten auch für Notenbanken. Niemand würde inmitten einer Krise einfach ohne Not die Zinsen erhöhen und so die Notlage weiter verschärfen.

Allerdings haben wir jetzt keine Krise.

Ja, aber man muss auch sehen, welches Mandat die Notenbanken haben und wie sie es jeweils interpretieren. Die Fed hat sehr wohl im Aufschwung nach 2008 die Zinsen im Dollar-Raum erhöht, die EZB hat das für den Euro nicht getan, weil ihr Mandat primär auf Preisstabilität hin ausgerichtet ist, und sie diese als nicht über, aber knapp an 2 Prozent Inflationsrate definiert. Weil dieses Inflationsziel nicht erfüllt war, hat die EZB sich verpflichtet gefühlt, weiter eine expansive Geldpolitik zu betreiben. Deshalb gibt es ja jetzt auch den Wunsch, im Rahmen des EZB-“Policy Review” die Definition von Preisstabilität flexibler handzuhaben. Da muss man offen darüber reden.

In letzter Zeit wurde die Kritik von links an der Unabhängigkeit von Notenbanken wieder lauter. Aus dieser Perspektive ist eine disziplinierte Geldpolitik eine strukturelle Hürde im Kampf gegen den Klimawandel und den expansiven Ausbau des Sozialstaats. Teilen Sie diese Kritik?

Nicht nur Linke, auch Rechte haben immer wieder Kritik an der Unabhängigkeit von Zentralbanken geübt. Weder John Maynard Keynes noch Milton Friedman waren überzeugt von der Notwendigkeit unabhängiger Zentralbanken. Ich halte unser bestehendes System mit unabhängigen, aber gesamtwirtschaftlich orientierten Notenbanken für vernünftig und sinnvoll.

Der politische Druck auf die EZB könnte aber zunehmen, weil die Probleme der expansiven Geldpolitik für Sparer, Banken und Realwirtschaft im Norden immer deutlicher werden, während der Süden sich keine steigenden Zinsen leisten kann. Dadurch droht die EZB, etwa in Deutschland, Frankreich und Italien, in die Parteipolitik zu geraten.

Diese Aussicht ist tatsächlich beunruhigend; das gilt insbesondere für Deutschland, dem größten und wichtigsten EU-Mitglied. Zumal ja alle Studien zeigen, dass das Geldvermögen weiter wächst.

Das gilt aber nicht für Sparguthaben.

Ja, aber für die kleinen Sparer war schon immer eine hohe Inflation der ärgste Feind, und die Geldentwertung ist aktuell minimal. Es gibt hier vielfach eine irrationale Diskussion – Sparen ist auch heute sinnvoll. Eine negative Realverzinsung von einfachen Sparguthaben gab es in der Vergangenheit immer wieder, auch bei hohen Zinsraten, wenn nämlich die Inflation noch höher ist. Zudem werden in dieser emotionalen Diskussion zwei Themen zusammengeworfen, die nicht zusammengehören: Das eine ist die kurzfristige Verzinsung, wo – unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – tatsächlich die Notenbanken Verantwortung tragen; das andere ist die langfristige Verzinsung, die überwiegend von den globalen Kapitalmärkten getrieben ist. Längerfristig ist das Fehlen einer realen Verzinsung aber sehr wohl ein Problem – zumal wenn noch Kapitalzuflüsse aufgrund des Images des Euro als sicherer Hafen hinzukommen. Das betrifft insbesondere kapitalmarktbasierte Pensionssicherungssysteme.

Ist der Klimawandel auch für Sie die zentrale Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?

Als Ökonom bin ich darauf trainiert, daran zu denken, dass es immer mehrere Ziele gibt, die gleichzeitig zu erreichen sind – und die Kunst besteht darin, diese Ziele möglichst miteinander zu verbinden. Neben dem Klimawandel gibt es deshalb auch weiterhin Ziele, wie die Bereitstellung einer optimalen Gesundheitsversorgung, von leistbarem Wohnraum, von ausreichend Jobs und guten Standortbedingungen. Kluge Politik ist immer eine, welche die Gesamtheit der Ziele erkennt und verfolgt und nicht nur ein Ziel allein.

Genau das aber fordern Bewegungen wie “Fridays for Future” und viele andere Klima-Aktivisten. Ist diese unterschiedliche Problemperspektive eine Frage von Lebenserfahrung und Alter?

Das glaube ich nicht, eher schon bezeichnet sie den Unterschied zwischen Ökonomen und manchen Naturwissenschaftern. Das zeigt sich für mich auch in der häufigen Betonung von Katastrophenszenarien in der aktuellen Debatte. Persönlich halte ich das für nicht ungefährlich, weil ja der soziale Konsens darauf beruht, dass es auch in den anderen Bereichen, etwa bei Jobs oder sozialen Diensten, ein funktionierendes System gibt; wenn das einmal gefährdet sein sollte, würde die Stimmung beim Klimaschutz schnell kippen.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde fordert für ihre Institution eine tragende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Wie wird dieser aussehen: Nur als Stabilisator, der auf mögliche volkswirtschaftliche Verwerfungen als Folge des Klimawandels reagiert, oder als Füllhorn, mit dessen Hilfe Geld ohne Grenzen für Investitionen zur Verfügung gestellt werden kann?

Hier sollte man nicht fantasieren, sondern sich genau das gesetzliche Mandat der EZB vor Augen führen, das da lautet: Preis- und Finanzmarktstabilität. Hier gibt es gewisse Spielräume in der Umsetzung, aber ich halte es für gefährlich, Notenbanken mit Aufgaben zu überfordern. Was aber möglich und durchaus sinnvoll ist: Dass etwa Notenbanken in Sachen Klimapolitik Unternehmensanleihen, die klimapolitisch problematisch sind, nicht kaufen. Das geschieht zum Teil ja schon. Für die ausgleichende realwirtschaftliche Strukturpolitik sind dann wieder andere Institutionen auf nationaler wie EU-Ebene zuständig wie etwa die Europäische Investitionsbank.

Sie plädieren für eine rationale Diskussion. Immer öfter nimmt die Debatte um Klimaschutz aber panikartige Züge an. Halten Sie es für möglich, dass auch die Politik in Panikmodus gerät und die vielen Ziele zugunsten eines einzigen über Bord wirft?

Wir müssen darauf hinarbeiten, zwei Extreme zu vermeiden: Das reale Problem zu leugnen, wie es etwa US-Präsident Donald Trump macht, und in Panik zu verfallen – noch dazu mit real unerfüllbaren Forderungen und Wünschen. Ich halte immer noch am meisten davon, Probleme nüchtern zu erfassen, sie konstruktiv anzugehen und dabei aber immer auch in Kategorien von Kosten und Nutzen zu denken. Das erfordert nämlich der Umstand, dass wir mit knappen und begrenzten Ressourcen wirtschaften müssen. In manchen Fällen kann es deshalb günstiger sein, eine Sache ganz zu vermeiden; es kann aber auch sein, sich den Folgen von Entwicklungen zu stellen statt sich mit gigantischen Mitteln gegen die Ursachen zu stemmen. Als ein vielleicht triviales Beispiel: Die Niederlande sind seit Jahrhunderten mit potenziellen Katastrophen konfrontiert. Sie haben daraus gelernt und ein leistungsfähiges System von Dämmen gebaut.

Welche Institutionen oder Mechanismen sind Garanten, dass unsere Gesellschaften nicht in Panik verfallen? Politiker sind ja durchaus anfällig.

Da ist mein Vertrauen in die Vernunft der Wähler schon groß genug. Es gibt hier ein relativ sicheres Korrektiv, und das ist die Geldbörse der einfachen Menschen. In dem Moment, wo die Politik alle Pläne und Vorhaben mit einem Preisschild versehen muss, ist sie zu einer gewissen Mindestrationalität gezwungen.

Wobei ja dann eben wieder die Notenbanken mit ihrer prinzipiellen Möglichkeit, ausreichend Geld neu zu schöpfen, ins Spiel kommen könnte.

Wenn es tatsächlich, was ich nicht glaube, zu einer Entscheidung zwischen unbegrenzter Notenbankfinanzierung und der Unabhängigkeit von Notenbanken kommen sollte, dann bin ich mir sicher, dass es einen breiten Konsens zugunsten der Unabhängigkeit geben wird.

Was macht Sie so zuversichtlich?

Weil hier die Erfahrungen der Generationen unterschiedlich sind. Menschen, die an das Wirtschaftsleben gebunden sind, sehen die Welt wahrscheinlich doch etwas anders, als junge Studierende und Schüler und Schülerinnen, selbst wenn diese die besten Absichten haben.