Zwei Drittel der Österreicher wollen bei der Union bleiben. Richtig wohl fühlen sich viele damit dennoch nicht, alte Befürchtungen sind geblieben.
Aber so ganz wohl fühlen sich viele Österreicher in der EU trotzdem nicht. Das Zusammenspiel zwischen EU und Nationalstaat funktioniert nicht reibungslos. Die EU ist in den Augen vieler keine Alternative zu den – immer begrenzteren – nationalen Handlungsspielräumen. Sie bietet nicht dieselbe Geborgenheit wie der gute alte Nationalstaat, wird weniger als Antwort auf die Globalisierung, vielmehr als deren Motor empfunden.
Konstante Befürchtungen
Konstant gehalten haben sich daher auch Befürchtungen, die schon in der Vorbeitrittszeit vor 20 Jahren thematisiert wurden. Die Gefährdung von Arbeitsplätzen und kleinen landwirtschaftlichen Betrieben, der Ausverkauf von Firmen, die Zulassung genmanipulierter Lebensmittel – eine Mehrheit der Bevölkerung meint heute, dass diese Szenarien zumindest zum Teil eingetreten wären.
Das Verhältnis der Österreicher zur EU erweist sich als einigermaßen ambivalent. Zwei von drei Österreichern schätzen ihre friedensstiftende und demokratiepolitische Rolle, vier von fünf ihr wirtschaftliches Potenzial. Die einstige Sorge, die heimische Identität könne verlorengehen, hat sich in der öffentlichen Meinung nicht durchgesetzt. Bekrittelt werden aber Komplexität, Ferne und empfundene Schwäche der Union. Unser Land habe zwar mehrheitlich Vorteile aus der Mitgliedschaft gezogen, aber dies gelte eben vor allem für Großunternehmen und Jugend. Arbeitnehmer und Ältere würden schon weniger profitieren, für kleine und mittlere Unternehmen oder Landwirte die Nachteile sogar überwiegen. Dagegen wird die Euro-Einführung positiv beurteilt, mit Abstrichen gilt dies auch für den Abbau von Zoll- und Passkontrollen, weniger für die Erweiterung, sieht man von jener um unsere Nachbarländer ab.
Große Veränderungen seit Beitritt
Die heutige EU unterscheidet sich deutlich von jener des Jahres 1995. Die seither umgesetzten Integrations- und Erweiterungsschritte, die Chancen und Risiken durch den gemeinsamen Markt, die Wirtschafts- und Finanzkrise, ein unsicheres geopolitisches Umfeld – all diese Entwicklungen zwingen zu ständiger Neuorientierung und zeigen die Interdependenz der Akteure auf. Von Unsicherheit und Zweifel bleibt bei dieser Geschwindigkeit niemand verschont.
Dass nationale Alleingänge in dieser Konstellation keine befriedigende Alternative bieten, ist den Österreichern sehr wohl bewusst. Fast jeder Zweite möchte die Zusammenarbeit innerhalb der EU weiter ausbauen.
Gemischte Gefühle
Es bleibt ein positives Gesamtbild der europäischen Idee, gemischt mit einer kritischen Betrachtung der gegenwärtigen Union. Einer EU, die zu selten auf jene schaut, die sich als Globalisierungsverlierer empfinden und sich von weiteren Integrationsschritten unter Druck gesetzt fühlen. Nicht umsonst ist unter den EU-Skeptikern gerade die Gruppe der Ältesten am häufigsten vertreten, ist die Skepsis bei Personen mit niedrigerem formalem Ausbildungsgrad deutlich höher. Offene Grenzen und Mobilität bieten neue Möglichkeiten, sind für andere jedoch Grund zur Sorge und führen zu einem Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein. Gerade von dieser Gruppe wird die EU besonders häufig als unsicher, undemokratisch, konfliktfördernd und bürokratisch beschrieben.
Diese Ängste müssen in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Neben systemischen Problemen und politischen Divergenzen sind vor allem gravierende Kommunikationsmängel und fehlende politische Vision Ursachen von EU-Skepsis. Das oft als indifferent beschriebene EU-Meinungsbild in Österreich ist aber auch ein Spiegelbild des mehrdeutigen Diskurses und europapolitischer Passivität nationaler Akteure.
Erwartungen der Österreicher
Die Österreicher erwarten sich vertrauensbildende Maßnahmen auf allen Ebenen. Weniger Paragrafendschungel, weniger “weltfremde” Regelungen des alltäglichen Lebens, dafür weitreichende politische Entscheidungen in Sachen Wachstum und Beschäftigung. Es muss klarer werden, dass die europäische Integration die Antwort auf die Fragen unserer Zeit sucht und nicht Teil des Problems ist.
Die EU ist weiterhin in statu nascendi. Es wird an ihr gebaut wie an einer gotischen Kathedrale, von der wir alle hoffen, dass sie irgendwann einmal fertig wird, der aber manche Stützpfeiler und Spitzbögen noch fehlen. Mit dem neuen Kommissionspräsidenten braucht es einen Architekten, der der Bevölkerung Einblick gibt, wie das Werk am Ende aussehen soll. In jedem Fall müssen die Menschen auf dem Integrationsweg mitgenommen werden, damit sie – analog zu guter Architektur – auch dieses gemeinsame Europa annehmen.