Ein Pallawatsch namens Brexit (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Das weitere Drehbuch des britischen EU-Austritts wird gerade geschrieben. Mindestens drei verschiedene Szenarien stehen zur Auswahl: Das britische Unterhaus unterstützt das eben ausverhandelte Abkommen, und die Verhandlungen über die Ausgestaltung der zukünftigen Beziehung zwischen der EU und Großbritannien beginnen. Oder aber die Abgeordneten lehnen das Verhandlungsergebnis ab, und es kommt zu Neuwahlen, zu einem zweiten Referendum oder geht zurück an den Start. Das Schreckensszenario: Eine Ablehnung führt zu einem ungeregelten Brexit mit enorm negativen Folgen für die Wirtschaft.

Egal, ob und wie sich der britische EU-Austritt letztlich vollzieht, eines muss man dem EU-Chefverhandler Michel Barnier und seinem Team jedenfalls schon jetzt zugestehen: Sie haben in einer unmöglichen Situation das wahrscheinlich Bestmögliche erreicht, indem sie ein Austrittsabkommen mit wechselnden britischen Verhandlungspartnern professionell ausverhandelt und sich auf technische Lösungen für politische Probleme so weit als möglich geeinigt haben. Neben den weiteren britischen Beitragszahlungen an den EU-Haushalt sowie den garantierten Rechten der in Großbritannien lebenden EU-Bürger und der aktuell in den EU-27 ansässigen Briten hat man sich letztlich auch auf den Umgang mit der Grenze zwischen Irland und Nordirland verständigt. Eine harte, tatsächliche Grenze sollte damit vermieden werden.

Ob allerdings ein maßgeschneidertes EU-Großbritannien-Zollgebiet mit speziellem Status für Nordirland letztlich politische Mehrheiten finden wird, darf angezweifelt werden. Eine Bevorzugung Nordirlands käme einer Diskriminierung der anderen Teile Großbritanniens gleich und würde auch Kontrollen in der Irischen See mit sich bringen. Und der Wunschtraum der Brexit-Befürworter, stets souverän zu entscheiden, wäre damit konterkariert. Denn um die so wichtige offene Grenze mit Irland zu garantieren, wäre die Zollpartnerschaft auch nicht einseitig kündbar.

Der angedachte Weg käme einer britischen Teilnahme an einer EU-Zollunion durchaus nahe. Aber eine weiterführende Abkapselung der Insel würde eben die wirtschaftlichen Verwerfungen weiter potenzieren. So viel Realismus müsste es geben, auch wenn dies bedeutet, dass der Aktionsradius Londons bei der Verhandlung von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten damit eingeschränkt wäre und auch dem von der britischen Politik nicht übermäßig geschätzten Europäischen Gerichtshof weiterhin eine durchaus beachtliche Rolle zuteilwürde.

Ob das britische Unterhaus diesem Abkommen tatsächlich zustimmen wird, weiß derzeit niemand. Denn der Brexit produziert eigentlich nur Verlierer – und das vor allem in Großbritannien. Beide Verhandlungsseiten waren zwar um maximale Schadensbegrenzung bemüht, aber wirtschaftliche Notwendigkeiten wurden kurzfristigen innenpolitischen Strategien und Machtkämpfen im Feilschen um parlamentarische Mehrheiten geopfert. Während die Premierministerin für einen geordneten Austritt kämpft, verlassen ihr Brexit-Chefverhandler und weitere Kabinettsmitglieder das Schiff. Letztlich entscheidet eine politische Elite darüber, ob und wie Großbritannien aus der EU ausscheidet.

Die Verantwortung für diesen Pallawatsch werden am Ende die wenigsten zu tragen bereit sein.