Die Wahlen zum EU-Parlament sind der Versuch, die verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten – eine europäische gibt es maximal in Ansätzen – gleichzeitig zu bespielen und dabei die Bedeutung der europäischen Debatte und des EU-Parlaments unter Beweis zu stellen. Sie sind aber auch ein einzigartiges Demokratieexperiment mit gänzlich unterschiedlichem Stellenwert in den EU-Staaten. Lag etwa in der Slowakei im Jahr 2014 die Wahlbeteiligung bei mageren 13 Prozent, waren es in Belgien – wohl auch aufgrund der Wahlpflicht – knapp 90 Prozent. Im Durchschnitt ist die EU-Wahlbeteiligung traditionell niedriger als bei nationalen Urnengängen. Und das, obwohl globale Fragen immer wichtiger werden und das Thema Europa präsenter und emotionaler geworden ist. Bei der vergangenen EU-Wahl blieben dennoch mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zu Hause. Im EU-Schnitt gingen 42,6 Prozent wählen (in Österreich 45,4 Prozent). Seit der ersten Direktwahl des EU-Parlaments vor 40 Jahren ist die Wahlbeteiligung um 20 Prozentpunkte gesunken. Die EU-Erweiterung wirkte trendverstärkend, obwohl sich das EU-Parlament sukzessive mehr Einfluss und Mitsprache erkämpft hat.
Wird es diesmal anders? Jedenfalls geht es um die Frage, ob jene Kräfte die Oberhand gewinnen, die sich für eine bessere Integration einsetzen, oder jene, die für ihren Rückbau und die Stärkung der Nationalstaaten plädieren. Aktuelle Umfragen sehen derzeit allerdings keine Überholspur für EU-skeptische Parteien. Zwar werden die politischen Ränder gestärkt, trotz Stimmeneinbußen werden aber die großen Fraktionen eine Mehrheit behalten, die liberale Gruppe könnte wachsen und an Einfluss gewinnen. Dazu kommt, dass es EU-Rechtsaußenparteien nicht gelungen ist, eine interessenübergreifende Fraktion zu bilden. Zu groß scheinen die nationalen Unterschiede, die einem gemeinsamen Ganzen zuwiderlaufen.
Wie könnte man dies nun in eine höhere Wahlbeteiligung ummünzen? Es gilt, die “passive Mitte”, insbesondere die eigene Wählerklientel, zu mobilisieren. Es gilt aufzuzeigen, dass berechtigte Kritik an der EU verstanden wird. Die europäische Dimension nationaler Themen sollte in den Vordergrund gerückt werden – jene, die die Lebensrealität der Menschen widerspiegeln: Wohlstand, Jobs, (soziale) Sicherheit.
Ob das in so kurzer Zeit gelingt, ist fraglich. Fakten sind das eine, Gefühle etwas anderes. Aber auch EU-freundliche Kräfte dürfen mit Herz kommunizieren. Das Potenzial ist da, um die EU-Wahl den Menschen schmackhaft zu machen. Man muss es nur heben.