Ein Brexit-Effekt für die EU-Wahlen? (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Die EU-Wahlen waren im Vereinigten Königreich nie groß Thema. 2014 gaben 35 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, einzig in Nordirland lag die Beteiligung mit knapp mehr als 50 Prozent deutlich darüber. In gut 90 Tagen wird wieder über die Zusammensetzung des EU-Parlaments entschieden, diesmal wohl ohne britische Beteiligung. Dennoch könnte die politische Gemengelage auf der Insel einen beträchtlichen Einfluss auf die EU-Wahlen haben – je nachdem, ob, wann und in welcher Weise sich der EU-Austritt vollzieht.

Das Brexit-Experiment hat sich in den anderen Mitgliedsländern – entgegen manchen Annahmen – nicht negativ, sondern positiv auf die Identifikation mit der EU ausgewirkt. Auch in Österreich ist die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft nach dem Brexit-Referendum deutlich angestiegen und liegt aktuell bei hohen 75 Prozent. Als Konsequenz haben jene politischen Kräfte, die weiteren nationalen Austrittsreferenden nicht abgeneigt waren, ihre politische Rhetorik und Strategie angepasst. Denn der Brexit gilt mittlerweile als Synonym für Planlosigkeit, Egoismus und innenpolitische Machtspiele. Die irische Grenzfrage ist zudem ein gutes Beispiel dafür, wie ökonomisch absurd und hochriskant die Rückkehr zu nationalen Grenzen sein kann. Das Ziel der europäischen Integration war und ist es, Nationalismen zu überwinden. Großbritannien bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung.

Ebenso zeigt sich, wie sehr ein kleines Land – Österreich sollte hier genau hinschauen – von einem größeren Staatenverbund profitiert. Irland zählt auf die Solidarität der EU-Partner im Bestreben, die Grenze zu Nordirland so offen wie nur möglich zu halten.

Die Folgen des Brexit werden alle Seiten zu spüren bekommen – auch die EU. Aber welchen Effekt könnten die unterschiedlichen Austrittsszenarien auf Wahlbeteiligung und -ausgang haben? Ein ungeregelter Brexit und prolongierte Chaostage in London würden wohl eher jene Kräfte mobilisieren, die für gemeinsame Lösungen stehen und gegen nationale Selbstverzwergung ankämpfen. Bei einer Last-Minute-Einigung würden die unmittelbaren Folgen – aufgrund der Übergangszeiten und weiterlaufenden Verpflichtungen – weniger dramatisch ausfallen. Auf beiden Seiten hätten Kompromissbereitschaft und Pragmatismus gesiegt. Der Einfluss auf die EU-Wahlen wäre womöglich moderater, wobei – je nach Interpretation der Ergebnisse – wohl auch hier konstruktivere europäische Kräfte leichte Punktgewinne erzielen würden. Bleibend wären der schale Beigeschmack chaotischer Verhandlungen auf britischer Seite und eine Serie an Problemen, die eher in die Zukunft verschoben als gelöst wären. Kommt es zu einer Fristverlängerung und weiteren Verhandlungen, hängt viel vom Zeitplan ab. Unmittelbare Verwerfungen wären allenfalls verschoben, nicht aufgehoben. Unrealistisch scheint ein Szenario, in dem die Briten – nach einer Verschiebung des Austrittsdatums – an den EU-Wahlen teilnehmen würden.

Der Brexit wirkt wahrlich abschreckend, aber letztlich wird sich niemand als nachhaltiger Sieger fühlen können. Auch die EU sollte ihre Lehren daraus ziehen.