Einigkeit wäre Europas Trumpf (Gastkommentar Paul Schmidt, Der Standard)

Ein nach innen geeintes und nach außen souveränes Europa – wünschte sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union am Mittwoch. Die in den vergangenen Jahren vor allem in Fragen von Migration und Rechtsstaatlichkeit zu Tage getretenen Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten lagen Juncker dabei sichtlich im Magen. Sein Plädoyer hätte aber auch durchaus noch mehr Leidenschaft vertragen.

Rufer in der Wüste
Europa soll nicht Zaungast sein, sondern global mitmischen. Daher Junckers Drängen auf den Abschluss weiterer Freihandelsabkommen und die Stärkung der internationalen Rolle des Euro. Es ist tatsächlich absurd, dass über zwei Drittel der europäischen Energieimporte noch immer in Dollar verrechnet werden. Dass der Kommissionspräsident vor dem Hintergrund der Trump-Administration und chinesischer Expansionsbestrebungen auf häufigere Mehrheitsentscheidungen und den Ausbau der europäischen Verteidigungsunion setzt, verwundert nicht. Allerdings riskiert er damit auch ein einsamer Rufer in der Wüste zu bleiben. Denn letztlich sind es die EU-Mitgliedstaaten, die über den weiteren Integrationsweg entscheiden und sich dabei nicht selten selbst im Weg stehen.

“Kranker Nationalismus”
Angesichts zunehmender nationalistischer Strömungen versucht die Kommission auf Themen zu setzen, die unmittelbar den Alltag der Menschen beeinflussen. Juncker hat einige Punkte genannt: unter anderem ein Verbot von Plastik oder die viel zitierte Zeitumstellung. Desintegrationstendenzen werden dadurch allerdings nur schwer gestoppt werden zu stoppen sein. Da hilft schon eher die Stärkung der sozialen Dimension, Beschlüsse, die deutlich dem Sicherheitsbedürfnis der Europäer entsprechen und auf Ängste vor dem Verlust der Identität eingehen. Junckers Ankündigung, zum Schutz der EU-Außengrenzen die EU-Agentur Frontex auf 10.000 Grenzschützer aufzustocken, die Mitgliedstaaten bei der Bearbeitung von Asylanträgen und der Rückführung illegaler Migranten zu unterstützen, aber gleichzeitig legale Einwanderungswege nach Europa zu ermöglichen, gehen in diese Richtung. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf den Plan einer verstärkten Partnerschaft mit afrikanischen Ländern, die sich etwa in der Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionen äußern sollte, um Fluchtgründen entgegenzuwirken. Gute Ideen gibt es viele, aber bei deren Umsetzung kommt Europa eben nicht schnell genug voran.
Die Art und Weise, wie innerhalb der EU Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden lehnt Juncker zu Recht deutlich ab. Er wandte sich in seiner Rede daher scharf gegen “kranken Nationalismus”, dem er einen “aufgeklärten Patriotismus” gegenüberstellte. Insgesamt scheute er jedoch ein naming und shaming. Die Chance, vor dem Hintergrund positiver Wirtschaftsdaten, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen und dabei – vor allem die jungen – Europäer, explizit abzuholen, hat er nicht gänzlich genützt. Was bleibt, ist vor allem der eindringliche Wunsch, Spaltungstendenzen in der EU entschieden entgegenzutreten und wieder Gemeinsames in den Vordergrund zu rücken.