Die EU-Regierungschefs müssen liefern (Gastkommentar, Wiener Zeitung)

Es gibt nichts schönzureden.
Die Wirtschaftsprognosen sind dramatisch, das Auseinanderklaffen der EU-Länder nimmt weiter zu und die vorhergesagte Erholung für 2021 ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Höchste Zeit, dass die EU-Staats- und Regierungschefs Nägel mit Köpfen machen. Ein zögerliches Abtasten der unterschiedlichen Positionen, das ist das Bild, das die EU aufgrund der Uneinigkeit der Mitgliedsländer derzeit vermittelt, reicht nicht.

Den Staatskanzleien und EU-Institutionen muss klar sein, was auf dem Spiel steht: die Handlungsfähigkeit, der Zusammenhalt und damit die Zukunft der Union. Es liegt am Europäischen Rat, jetzt einen EU-Aufbauplan und mehrjährigen EU-Finanzrahmen festzulegen, die es ermöglichen, auf die Folgen der Corona-Pandemie effektiv zu reagieren und den auseinanderdriftenden Ungleichgewichten in Europa entgegenzuwirken.

Nach dem Fleckerlteppich an Einzelmaßnahmen zu Beginn der Krise, der erst wieder zusammengeflickt werden musste, soll nun die Widerstandsfähigkeit der EU-Mitgliedsländer verbessert und in Zukunftsbereiche investiert werden. Das klingt im Ansatz gut, und zumindest die hehren Ziele des zu schnürenden Finanzpakets scheinen außer Streit gestellt: Wachstum und Beschäftigung in Verbindung mit Klimaschutz, Digitalisierung, der Wahrung der Grundrechte und der strategischen Unabhängigkeit kritischer Infrastruktur. Aber schon bei der Finanzierungsstruktur und der Mittelverteilung scheiden sich die Geister. Die national angelegte Debatte verkennt die ökonomische Schieflage und erliegt einem meist oberflächlichen Blick auf unterschiedlich strukturierte Volkswirtschaften. Europa steht in seiner Gesamtheit vor enormen Herausforderungen, und die Bevölkerung erwartet zu recht gemeinsame Antworten, die Klarheit, Sicherheit und Zuversicht vermitteln.

Klar ist, dass an einer zeitlich begrenzten gemeinsamen Schuldenaufnahme kein Weg vorbeiführt. Bedient würden diese durch neue EU-Einkommensquellen, denn höhere nationale EU-Beiträge oder eine Tilgung ausschließlich durch die am stärksten von den Corona-Folgen betroffenen EU-Länder scheinen noch weniger realistisch. Allein Kredite zur Verfügung zu stellen, führt bei den aktuellen Verschuldungsniveaus in eine Sackgasse, in der auch wir uns wiederfinden, wenn unsere Nachbarn ihre Zahlungsfähigkeit verlieren. Überwiegend nicht rückzahlbare Zuschüsse zu gewähren, um in die Leistungsfähigkeit der Länder zu investieren und so manche schuldenbedingte Lähmung hinter sich zu lassen, ist wiederum aktuell nicht konsensfähig.

Mit etwas politischem Willen und einem Überdenken der eigenen Positionen ist eine Einigung trotzdem in Reichweite. Die Verhandlungsdynamik ist auch eine gänzlich andere, wenn sich die EU-Regierungschefs wieder physisch und nicht mehr nur via Videokonferenzen treffen. Am Ende stehen wie immer ein Kompromiss, ein Mix an Maßnahmen und eine Mittelvergabe mit verbindlichen Vorgaben. Um diesen Kompromiss muss jetzt so lange gerungen werden, bis weißer Rauch aufsteigt und die Erwartungen der Bevölkerung erfüllt sind.