Subsidiarität ist keine Einbahnstraße (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Vor mittlerweile 25 Jahren wurde das Subsidiaritätsprinzip im EU-Vertrag festgeschrieben. 15 Jahre später spezifizierten die EU-Mitglieder, dass bei geteilten Zuständigkeiten die Union nur tätig wird, “sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können”. Das Subsidiaritätsprinzip gilt etwa für den Binnenmarkt, die Sozialpolitik, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt, die Landwirtschaft, die Umweltpolitik, den Verbraucherschutz, den Verkehr oder die Energiepolitik. Die Herausforderung besteht darin, überall dort die Kompetenzen klar zu verteilen. Entscheidungen sollen möglichst bürgernah sein und die nationale Identität der Mitgliedstaaten wahren. In der öffentlichen Wahrnehmung und politischen Darstellung scheint dies bisher jedoch nur unzureichend gelungen zu sein.

Die aktuelle EU-Kommission hat auf die Kritik reagiert, ihren Regulierungsdrang zurückgeschraubt, Rechtsakte zurückgezogen und Gesetzesvorschläge stark reduziert. Eine spezielle Taskforce wurde beauftragt, Wege zu “weniger, aber effizienterem Handeln” zu finden. Sie legt heute, Dienstag, ihre Schlussfolgerungen vor.

Auch der österreichische Ratsvorsitz hat sich ein “subsidiäres Europa” auf die Fahnen geheftet. In heimischen Debatten wird allerdings der Eindruck vermittelt, dass die EU sich nicht überall einmischen solle, die Mitgliedstaaten vieles – was genau, wird selten konkretisiert – selbst besser könnten und die nationalstaatliche Entscheidungshoheit wieder hergestellt werden müsse.

Wo sich die Union konkret zurücknehmen sollte, ist zwischen den Mitgliedstaaten jedenfalls strittig. Dabei gibt es – je nach Thema – gute Gründe für “mehr” oder “weniger” Europa. So waren die europäischen Regierungen etwa nicht in der Lage, ein gemeinschaftliches Ziel im Kampf gegen die Verschmutzung der Meere zu erreichen. Mittels EU-Richtlinie soll nun der Pro-Kopf-Verbrauch von Plastiksackerln reduziert werden. Die Umsetzung obliegt dabei jedem EU-Land selbst. Ein Beispiel, wo nationale Regelungen besser greifen könnten, wäre möglicherweise die neue Trinkwasserrichtlinie, die auch Länder mit verlässlicher Wasserqualität verpflichtet, Kontrollen auszuweiten, und damit Wasser verteuert. Solche und andere Beispiele könnten eventuell helfen, die ganze Problematik fassbar zu machen.

In Österreich haben sich immerhin die Landeshauptleute festgelegt: Sie sehen einen EU-Mehrwert beim Außengrenzschutz, bei der inneren und äußeren Sicherheit, bei Europas Außenvertretung, bei Forschung, Innovation und Digitalisierung.
Bei Gesundheit, Industrie, Kultur, Tourismus, Bildung, Jugend, Sport, Katastrophenschutz und Verwaltungszusammenarbeit sollten sich EU-Regelungen dafür auf transnationale Aspekte konzentrieren.

Subsidiarität ist jedenfalls keine Einbahnstraße in Richtung eines nationalstaatlichen Fleckerlteppichs. Ziel ist es, das Gemeinwesen Europa zu ordnen, damit es den Bürgern etwas bringt. Es geht auch weniger um die Frage, wer wofür zuständig ist, sondern um die konkrete Lösung aktueller Probleme.