1 Jahr Vertrag von Lissabon: Starkes Fundament oder leere Hülle?

Zum ersten Jahrestag des Vertrags von Lissabon erstellte die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik einen tabellarischen Überblick über die wichtigsten Punkte des Vertrags und den Stand ihrer Umsetzung.

1 Jahr Vertrag von Lissabon: Starkes Fundament oder leere Hülle?
Am 1. Dezember 2009 – vor genau einem Jahr – trat der Vertrag von Lissabon (VvL) in Kraft. Für eine umfassende Bewertung der neuen „Spielregeln der EU“ ist es noch zu früh. Vom VvL klare Antworten auf die drängenden Fragen der Wirtschafts- und Finanzkrise zu erwarten, wäre ebenfalls illusorisch. Der Vertrag gibt den gesetzlichen Rahmen vor, die politischen Akteure füllen ihn mit Leben. Die Möglichkeiten des Vertrags zur Gänze zu nützen, würde die Europäische Union stärken. Einige Bereiche des VvL wurden mit seinem Inkrafttreten bereits umgesetzt, andere warten nach wie vor auf ihren Praxistest.
Zum ersten Jahrestag des Vertrags von Lissabon hat die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik einen tabellarischen Überblick über die wichtigsten Punkte des Vertrags und den Stand ihrer Umsetzung erstellt:
Kernpunkte des Vertrags von Lissabon:
Stärkung demokratischer Elemente der EU

  • Stärkung des Europäischen Parlaments (EP) durch seine Aufwertung im Gesetzgebungsprozess sowie verbesserte Mitsprache beim EU-Haushalt. Das Mitentscheidungsverfahren wird zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren[1]; EP und Rat der EU sind gleichberechtigt
  • Europäische Bürgerinitiative: EU-BürgerInnen können die Europäische Kommission (EK) zu einem Gesetzesvorschlag auffordern
  • Stärkung der EU-Mitgliedstaaten und der nationalen Parlamente durch Verankerung und Einklagbarkeit des Subsidiaritätsprinzips
  • Umfassende Informationsrechte für nationale Parlamente zu EU-Vorhaben
  • Verankerung und Einklagbarkeit der Grundrechtscharta

Einheitlicheres Auftreten der EU nach außen

  • Die EU erhält eigene Rechtspersönlichkeit und kann somit u.a. internationale Übereinkommen unterzeichnen, wie etwa die Europäische Menschenrechtskonvention
  • Das Amt der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik wurde geschaffen (Catherine Ashton ist zugleich die EK-Vize-Präsidentin)
  • Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Diensts (EAD). Geleitet von der Hohen Vertreterin soll er zur Entwicklung der EU-Außenpolitik beitragen

Effizientere Arbeitsweise / Institutionelle Änderungen

  • Der Europäische Rat erhält sowohl eine eigene Rechtspersönlichkeit als auch einen ständigen Präsidenten (Herman Van Rompuy wurde auf 2 ½ Jahre ernannt)
  • Schnellere Entscheidungsfindungen im Rat der EU, aufgrund der häufigeren Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit[2]
  • Weiterhin je ein/e Kommissar/in pro Mitgliedstaat in der EK
  • Der/die Kommissionspräsident/in wird zukünftig vom EP gewählt

Offene Punkte des Vertrags von Lissabon:

  • Finanzierung des EAD für 2011
  • Details der Europäischen Bürgerinitiative
  • Aufstockung des Europäischen Parlaments; mit J. Weidenholzer (SPÖ) und E. Stadler (BZÖ) wird Österreich über 19 anstatt 17 Abgeordnete verfügen
  • Teile des erweiterten Informationsrechts der nationalen Parlamente zu EU-Vorhaben

[1] Ausgenommen sind die GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) und PJZS (Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen)
[2] Wichtige Bereiche wie Steuer- oder Verteidigungspolitik benötigen weiterhin Einstimmigkeit.