Zeit für eine Neuorientierung (Gastkommentar Heinz Kienzl, Wiener Zeitung)

Vor etwa sieben Jahren gab es in Syrien Demonstrationen gegen die Vorherrschaft der zwei bis drei Millionen Alewiten und ihres Protagonisten Bashar al-Assad. In Damaskus skandierten die Demonstranten: “Christen nach Beirut, Alewiten in den Sarg!” Das Assad-Regime reagierte, wie im Orient üblich, mit brutalen Gegenschlägen, woraufhin in Syrien mehrere bewaffnete Formationen entstanden, die gegen Assad, aber auch untereinander kämpften. Mordkommandos des Islamischen Staates wirkten dann auch noch als Brandbeschleuniger.

Die UNO versuchte, mit Sicherheitsrat-Resolutionen und der Bildung von Verhandlungsformaten den Bürgerkrieg zu beenden. Bald zeigte sich, dass man mit zahlreichen Bürgerkriegsparteien keine Regierung bilden kann. Russland unter Präsident Wladimir Putin wählte den anderen Weg, stützte das Assad-Regime, das immerhin über eine Regierungsstruktur verfügte und eine Armee hatte, der man etwas befehlen konnte.

Die Leidtragenden

Der Bürgerkrieg löste eine Fluchtwelle aus, und die EU-Kommission entwickelte eine bürokratische Fehlkonstruktion, um die zahlreichen Flüchtlinge gerecht aufzuteilen. Bundeskanzlerin Angela Merkel glaubte, Deutschland könne den Flüchtlingszustrom bewältigen, andere waren davon nicht so überzeugt. Wie Ungarns Premier Viktor Orban wussten sie, dass ihre Gesellschaft einen Zustrom von hunderttausenden Flüchtlingen nicht verkraften kann. Die Flüchtlingswelle hat, selbst in Deutschland, den bestehenden rechtsradikalen Tendenzen einen starken Auftrieb verschafft, und Leidtragende des Syrischen Bürgerkriegs sind auch die europäischen Gesellschaften, die kräftig durcheinandergewirbelt wurden.

In der EU fürchtet man nicht ohne Grund, dass aus Afrika noch größere Flüchtlingswellen kommen werden. Man versucht Lösungen mit Auffanglagern in Libyen. Wie wäre es, wenn sich die EU das viel leichter zu lösende Problem Syrien vornähme? Vor drei Jahren haben einige Experten einen “Plan für Syrien” entwickelt, der die Finanzierung eines Wiederaufbaus durch internationalen Finanzinstitutionen und den Schutz durch europäische Polizeikräfte beinhaltet.

Österreichs Vermittlerrolle

Seit einigen Wochen scheint Ruhe in Syrien eingezogen zu sein, und so könnte die österreichische Bundesregierung, durch ihre Präsidentschaft besonders legitimiert, aber auch durch die guten Beziehungen der Wirtschaft und einer Regierungspartei, erfolgversprechend agieren. Der große Vorteil eines solchen Wechsels der Allianzen und Wiederaufbaus in Syrien bestünde vor allem für die mitteleuropäischen und Balkanstaaten und die Türkei in der Aussicht, vermutlich einem Drittel der Flüchtlinge die Heimkehr zu ermöglichen.

Die USA haben durch ihre Allianzen im Nahen Osten den Religionskrieg gefördert und auch die nötigen Waffen geliefert. Die russische Führung hat offenbar erkannt, dass man nur mit Assad und seinen Alewiten, die eine Regierungsstruktur und einen militärischen Arm haben, zumindest den Bürgerkrieg beenden könnte.

Österreich könnte mit der Übernahme des EU-Vorsitzes am 1. Juli seine so oft zitierte Vermittlerrolle einbringen. Das bedeutet nichts anderes als Unterstützung für jene Kräfte, die bewiesen haben, dass sie bei der Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien mehr als Anfangserfolge erzielt haben. Teile unserer Regierung rühmen sich ja auch, gute Beziehungen zu Russland zu pflegen.