Einigen sich FPÖ und ÖVP auf ein Koalitionsabkommen, wird es in Österreich zum ersten Mal einen Bundeskanzler geben, dessen Partei der Europäischen Union gegenüber bisher explizit ablehnend war. Zum 30-jährigen Jubiläum der Mitgliedschaft könnte es damit zu einem europapolitischen Dammbruch kommen, und das, obwohl Österreich bisher alle wesentlichen EU-Integrationsschritte unterstützt und letztlich auch massiv davon profitiert hat.
Deutlicher Unterschied
Das Wahlprogramm der Freiheitlichen macht deutlich, wie sehr sich ihre Version eines gemeinsamen Europas vom aktuellen Ist-Zustand unterscheidet: Die FPÖ bezichtigt die EU bisweilen der Kriegstreiberei, fordert die Rückholung von Kompetenzen, tritt für eine konsequente Anwendung des Vetorechts ein und dafür, dass Zahlungen an die Union nur dann geleistet werden, wenn “die EU ihre Aufgaben erfüllt”. Ein Ende der “wohlstandszersetzenden” Klimapolitik, des Asyl- und Migrationspakts oder der EU-Friedensfazilität steht ebenso auf der Agenda wie ein Aus der Ukraine-Unterstützung, der Sanktionen gegen Russland, der Beteiligung an europäischer Luftraumüberwachung oder einer Kapitalmarktunion. Auch sollen die Zuständigkeiten etwa des Europäischen Gerichtshofs beschränkt und ein Passus in der Verfassung etabliert werden, “der die überbordenden Einflussmöglichkeiten der EU abwehrt”.
Die Liste ließe sich fortsetzen, zusammengefasst lässt sich aber sagen: Die FPÖ sieht die EU nicht als Lösung, sondern als Problem und möchte sie zu einer Freihandelszone rückabwickeln.
Manche mögen einwenden, dass der Wahlkampf vorbei ist. Dass Regieren immer auch ein Rendezvous mit der Realität ist und daher zwangsläufig zu Kompromissen und Pragmatismus führen wird. Mag sein, muss aber nicht sein. Ein ideologisch gefestigter FPÖ-Chef wäre im Reigen der Staats- und Regierungschefs nicht allein. Mit Viktor Orbán, der für die Freiheitlichen als Vorbild gilt, und dem Slowaken Robert Fico könnte sich der österreichische Bundeskanzler in die Reihe jener EU-kritischen Nachbarländer eingliedern, die durch Blockadepolitik versuchen, die Handlungsfähigkeit der Union zu schwächen, die die EU als Feindbild projizieren und das offene europäische Gesellschaftsmodell infrage stellen. Die Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wird dabei als willkommene Unterstützung gesehen.
Kein Zukunftskonzept
Gerade für eine kleine, offene Volkswirtschaft wie Österreich, die sich in den letzten drei Jahrzehnten als konstruktiver europäischer Partner etabliert hat und deren Wohlstand sowie Lebensqualität entschieden von der europäischen Integration und dem gemeinsamen Binnenmarkt abhängen, wäre eine solche Trendumkehr in Richtung Festungsmentalität jedenfalls kein erfolgversprechendes Zukunftskonzept. Aber auch ein FPÖ-Kanzler würde sich letztlich der europäischen Wirklichkeit nicht auf Dauer entziehen können.
(Paul Schmidt, Der Standard, 10.1.2025)