Ein Integrationsrätsel – Gastkommentar

Vor 30 Jahren ist Österreich gemeinsam mit Schweden und Finnland der EU beigetreten. Im Vergleich mit den beiden skandinavischen Ländern hat die Alpenrepublik von der EU-Mitgliedschaft wirtschaftlich am meisten profitiert, nicht zuletzt aufgrund der zentralen Lage und engen Einbindung in den Binnenmarkt. Laut Wifo sind wir jährlich um rund 0,5 Prozent stärker gewachsen, als dies ohne EU der Fall wäre, während jeden von uns die Mitgliedschaft nicht die Welt, sondern nur etwa einen Espresso pro Woche kostet. Sie ist also eigentlich ein gutes Geschäft, im Grunde aber viel mehr: nämlich Garant für ein sicheres und friedliches Zusammenleben.

Trotzdem werden die Integrationserfolge und die Möglichkeiten Europas hierzulande zu wenig gewürdigt. Die Kluft zwischen gefühlten und tatsächlichen Vorteilen bleibt beträchtlich, und die eingetrübte EU-Stimmung ein Rätsel. Zwar sind über die letzten drei Jahrzehnte durchschnittlich 70 Prozent der Österreicher dafür, dass wir EU-Mitglied bleiben, und nur 22 Prozent befürworten einen Austritt. Aber für mehr als eine dürftige Zweckbeziehung reicht es dann doch nicht. So haben 27 Prozent hierzulande ein explizit schlechtes Bild von der EU – in Finnland sind es 13 und in Schweden nur 11 Prozent. In Österreich sagen 58 Prozent, dass das Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert hat, in Finnland und Schweden vertreten stolze drei Viertel diese Ansicht.

Viele der Ursachen dafür, dass ein nachweislicher Integrationsgewinner wie Österreich der EU auch nach 30 Jahren reserviert gegenübersteht, sind nicht zuletzt hausgemacht. Ebenso wie unsere Budgetmisere, bei der die Frage nach einem EU-Defizitverfahren maximal ein Randthema sein sollte. Zu lange wurde das Feld den Kritikern und Pessimisten überlassen und Europa zum Sündenbock für alle erdenklichen Probleme abgestempelt. Ganz als ob wir nicht bei jeder europäischen Entscheidung mit am Tisch sitzen würden.

Aber gerade die jüngsten Kehrtwenden der USA und ihre sicherheits-, wirtschaftlichen und demokratiepolitischen Folgen machen deutlich, dass es ein Umdenken braucht. Es ist höchste Zeit ist, das europäische Bewusstsein nachzuschärfen und sich unangenehmen Wahrheiten nicht zu verschließen. In Finnland und Schweden hat ein neues geopolitisches Umfeld in rascher Konsequenz zu einem NATO-Beitritt geführt. Auch wenn dieses Beispiel hierzulande keine Nachahmung finden wird – Österreich sollte zeigen, dass wir es ernst meinen  mit der Verteidigung europäischen Werte, der Demokratie, unseres Wohlstands und unserer Sicherheit.

Die Politik ist gefordert, neue Wege zu gehen, um den weltpolitischen Umbrüchen gerecht zu werden, das Miteinander statt dem Gegeneinander zu suchen, berechtigte Zuversicht zu vermitteln und das Potential Europas besser zu nutzen. Vielleicht könnten ja gerade auch diese fehlenden Puzzleteile dazu beitragen, das heimische Integrationsrätsel zu lösen.

 

(Paul Schmidt, Kurier, 16.4.2025)