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Im Schengeschwitzkasten (Die Furche-Artikel)

Im Schengen-Schwitzkasten

 

Würde Österreich heute die Aufnahme in den Schengen-Raum schaffen? Schwierig, eher nicht, Deutschland könnte ein Veto einlegen. Vorige Woche kündigte Bayern an, die Grenzkontrollen zu Österreich zu verstärken. Das Hauptaugenmerk werde auf „die Bekämpfung der illegalen Migration und der Schleuserkriminalität“ gelegt, sagte der bayerische Innenminister. Ein Stehsatz, den auch sein österreichisches Innenminister-Pendant Gerhard Karner regelmäßig verwendet. Beispielsweise wenn er die im April zum 17. Mal (!) verlängerten österreichischen Kontrollen an der Grenze zu Slowenien rechtfertigt. Oder wenn es darum geht, Österreichs Veto gegen die Schengen-Aufnahme von Rumänien und Bulgarien damit zu erklären, dass die zwei Länder und die EU-Kommission zu wenig gegen die illegale Migration am Balkan unternehmen.

 

Veto-Keule trifft Falschen

Für die große Mehrheit des Europaparlaments trifft Österreichs Veto-Keule die Falschen: 526 Abgeordnete stimmten vorige Woche für den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien noch in diesem Jahr. 42 Parlamentarier enthielten sich ihrer Stimme, 56 votierten dagegen. Von den 19 österreichischen Abgeordneten stimmten die drei FPÖ-Mandatare und sechs der sieben ÖVP-Abgeordneten mit Nein. Der erste Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, scherte (wieder einmal) aus der VP-Delegationslinie aus und stimmte, so wie die Abgeordneten von SPÖ, Grünen und Neos, für den gesetzlich nicht bindenden Entschließungsantrag.
„Die Resolution spiegelt die Stimmung auf Ratsebene wieder“, kommentiert Paul Schmidt das Abstimmungsergebnis, „bei Bulgarien sind die Niederlande und Österreich gegen einen Schengen-Beitritt und bei Rumänien ist nur Österreich dagegen.“ Das Abstimmungsverhalten der Österreicher bestätige wiederum die politische Debatte hierzulande, sagt der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (OeGfE). „Der Begriff Schengen hat in der Öffentlichkeit keinen guten Ruf, umso mehr als immer gesagt wird, das Schengen-System sei kaputt“, sagt Schmidt. „Personenfreizügigkeit hat einen guten Ruf, aber nur wenn es um die eigene Personenfreizügigkeit geht. Und so wie Schengen haben auch Rumänien und Bulgarien keinen guten Ruf.“ Auf diesen doppelten schlechten Ruf baue die politische Strategie auf, gegen den Schengen-Beitritt der zwei Länder zu sein, meint Schmidt: „Vermischt mit Daten zu Migrations-Routen über Serbien und Rumänien ist das ein Versuch, innenpolitisch zu punkten. Da diese Migranten aber alle durch Ungarn nach Österreich kommen, ist Rumänien eigentlich der falsche Adressat.“ Eine Sichtweise, die das EU-Parlament teilt. In der Resolution heißt es, Österreichs Argumente „stehen in keinem Zusammenhang mit den für Rumänien festgelegten Bedingungen für den Beitritt zum Schengen-Raum“. Von der FURCHE gefragt, stimmt Franz Leidenmühler, der Vorstand des Instituts für Europarecht an der Universität Linz, dieser Einschätzung zu: „Ich würde die Entscheidung der Republik Österreich, gegen die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien zu stimmen, als eine zwar rechtlich determinierte, aber letztlich doch politische Entscheidung qualifizieren.“ Die zu fatalen Auswirkungen führen kann, warnt Georgi Gotev, leitender Redakteur des europäischen Nachrichtenportals EURACTIV: „Als jemand, der die Hälfte seines Lebens in Bulgarien verbracht hat, weiß ich sehr gut, wie gut die russische Propagandamaschinerie in der Lage ist, eine weitere Verweigerung des Schengen-Beitritts zu nutzen, um ihre Behauptung zu untermauern, dass die EU Bulgarien auf eine unwürdige Mitgliedschaft zweiter Klasse zurückgestuft hat.“ Gotev fürchtet, eine neuerliche Schengen-Verweigerung könnte den beiden pro-russischen Parteien im bulgarischen Parlament in die Hände spielen, „und das Risiko einer weiteren vorgezogenen Wahl, ausgelöst durch eine negative Schengen-Abstimmung, ist real“.
Recht auf Kompensation? Als wenig realistisch sieht OeGfE-Generalsekretär Schmidt hingegen die in der Resolution gestellte Forderung an die EU-Kommission, sie solle „Mechanismen für den Ausgleich der finanziellen Verluste analysieren“, die aufgrund der „ungerechtfertigten Verweigerung der Mitgliedschaft im Schengen-Raum“ entstehen: „Ich glaube nicht, dass die Kommission das weiter verfolgen wird“, sagt Schmidt, „ein Recht auf Kompensationszahlungen scheint mir viel zu kompliziert und zu weit hergeholt.“ Europarechtler Leidenmühler sieht das gleich: „Man kann an Österreich durchaus politische Kritik anbringen, eine Substanz für die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission, was die einzige Möglichkeit wäre, gegen einen Mitgliedstaat vorzugehen, ist aber nicht gegeben.“ Diese Woche treffen sich die Justiz- und Innenminister der EU zu einem informellen Treffen, im Oktober und Dezember finden Ratssitzungen statt. Drei Gelegenheiten, um Rumänien und Bulgarien noch in diesem Jahr grünes Licht für den Schengen-Beitritt zu geben. Paul Schmidt glaubt nicht daran: „Ich denke, der ÖVP-Teil der Bundesregierung lässt sich durch diese Resolution nicht beeindrucken. Auch wegen der Europa- und Nationalratswahlen kommendes Jahr. Ich sehe keine rasche Lösung am Horizont. Der Schaden ist erheblich, aber die Innenpolitik geht vor.“