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Ein Rendezvous mit der sicherheitspolitischen Realität – Die Presse

Die Sicherheitsdebatte nimmt hierzulande nur langsam an Fahrt auf. Österreich muss aus dem Dornröschenschlaf geholt werden.

Die Aussichten waren schon besser. Russland überzieht die Ukraine weiter mit Angriffen, Drohnenflüge und Sabotageakte nehmen zu – gerade in jenen europäischen Staaten, die die Ukraine besonders stark unterstützen. Und demokratische Wahlen werden – wie unlängst in der Republik Moldau oder auch in Rumänien – mehr und mehr zur Zielscheibe extern gesteuerter Desinformation. Wenn dann auch noch die militärischen Garantien der USA ins Wanken geraten, dann ist Feuer am Dach und jedenfalls höchste Zeit, die europäische Sicherheit und Verteidigung auf eigene Beine zu stellen.

Zögerliches Vortasten

Österreich versucht, den geänderten Umständen Rechnung zu tragen, indem es etwa steigende Finanzmittel für das Bundesheer einplant, neue Bedrohungslagen in den Mittelpunkt seiner heimischen Sicherheitsstrategie stellt, Teil des europäischen Luftraumschutzprojekts Sky Shield sein möchte und den Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion begrüßt.

Und doch ist dieses Vortasten aus der heimischen Komfortzone, ähnlich wie in so manch anderen Ländern im Westen und Süden Europas, zu zögerlich und die Sicherheitsdebatte nimmt hierzulande nur langsam an Fahrt auf. Dabei geht es nicht um einen imaginären Nato-Beitritt, den immerwährenden Bestand der Neutralität oder eine vermeintliche EU-Armee, sondern um ein Rendezvous mit der Realität, ein Schärfen des öffentlichen Bewusstseins für mögliche Risiken und Gefahren und darum, einmal auf den Tisch zu legen, was es denn braucht, um wehrhaft zu sein und dem Weltgeschehen nicht gleichgültig gegenüberzustehen.

„Wir befinden uns nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht im Frieden“, hat Bundeskanzler Friedrich Merz unlängst zur aktuellen Situation gemeint. Nicht alle seiner europäischen Regierungskollegen würden diese Einschätzung teilen. Auch hier bedingt der Standort den Standpunkt. Die Ausgangslagen sind unterschiedlich, Dringlichkeit und Bedrohungsszenarien werden je nach Land vollkommen anders beurteilt, und zusätzlich notwendige Verteidigungsausgaben müssen erst einmal gestemmt werden. Wie kann es sich also politisch ausgehen, in wirtschaftlich mageren Zeiten mehr Geld in militärische Nach- bzw. Aufrüstung zu investieren, gleichzeitig Budgets zu konsolidieren und bei anderen Ausgaben zu sparen? Wie kann diese Gleichung der Bevölkerung gegenüber argumentiert und von ihr mitgetragen werden? Kein leichtes Unterfangen, denn gerade ein gut funktionierender Sozialstaat, der seinen Bürgern umfassende Sicherheit bietet, ist kostenintensiv, gleichwohl aber auch eine wesentliche Grundlage für gesellschaftliche Resilienz, Politik- und Institutionenvertrauen und ein wirksames Mittel gegen Demokratiemüdigkeit und Extremismus.

Heimische Bequemlichkeit

Ob wir nun der Nato oder der EU angehören, militärisch neutral sind oder uns nach wie vor weit weg von aktuellen Konfliktzonen fühlen und von all dem nichts wissen wollen – eine öffentliche sicherheitspolitische Debatte braucht es allemal – gerade auch in Österreich, um die Menschen aus der heimischen Bequemlichkeit und dem Dornröschenschlaf zu holen. Ohne Angst und Panik aufkommen zu lassen, die wären fehl am Platz, aber eben auch ohne die aktuellen Entwicklungen zu verharmlosen oder einfach zu ignorieren.

(Die Presse, 17.10.2025)