Tschechien: Ein EU-kritischer Nachbar (Gastkommentar Paul Schmidt, Kurier)

Die Europäische Union hat in Tschechien wahrlich keinen leichten Stand. Die schon traditionell harsche EU-Kritik von Václav Klaus bis Miloš Zeman prägt seit Jahrzehnten einen Diskurs, der wenig hilfreich ist, das Bild der EU ins rechte Licht zu rücken. Auch bei den Parlamentswahlen im Herbst 2017 hat  insbesondere der defensive Migrationsdiskurs – Tschechien lehnt eine EU-weite Flüchtlingsverteilung vehement ab – Andrej Babiš zum Wahlerfolg verholfen. Trotz ausgezeichneter Wirtschaftsdaten ist die EU-Stimmung in unserem Nachbarland deutlich skeptischer, als dies hierzulande der Fall ist, wie Umfragen der Gesellschaft für Europapolitik und des EUROPEUM in Prag zeigen.
Das betrifft zuallererst die EU-Mitgliedschaft selbst: Während diese von 77 Prozent der Österreicher bejaht und von nur 15 Prozent abgelehnt wird, sprechen sich nur 54 Prozent der Tschechen für die EU-Mitgliedschaft ihres Landes aus, 34 Prozent plädieren für einen Austritt.
Sieben von zehn Tschechen haben auch den Eindruck, ihr Land werde von den EU-Institutionen nicht fair behandelt, in Österreich sind es vier von zehn. Die Wahrnehmung ist, nach wie vor als EU-Land “zweiter” Klasse betrachtet zu werden. Die Folge: Nur einer von zehn Tschechen ist mit der Asyl- und Migrationspolitik der EU zufrieden, während es hierzulande – unter ganz anderen Voraussetzungen – immerhin ein knappes Drittel ist. Der Vorwurf fehlender Solidarität trifft in Prag ebenso wenig auf Verständnis. Sechs von zehn Tschechen sehen sich innerhalb der EU durchaus als solidarisch, eine Sicht, die auch eine überwiegende Mehrheit der Österreicher – konkret 86 Prozent – in Bezug auf ihr eigenes Land teilt.

EU-Bashing
Demokratie und Grundrechte sind Werte, die in Tschechien ebenso mehrheitlich vertreten werden, obwohl in geringerem Ausmaß. Dennoch wünschen sich sieben von zehn Tschechen einen „starken Mann“ in der Politik. In Österreich sind es 58 Prozent. Nur knapp ein Drittel der Tschechen hält die EU-Mitgliedschaft für vorteilhaft für das politische Gewicht des eigenen Landes – in Österreich etwas mehr als die Hälfte –  doch lediglich ein Viertel meint, dass es der tschechischen Politik gelingt, das europäische Standing des Landes zu erhöhen. 80 Prozent der tschechischen Befragten sehen auch eine Kluft zwischen Bürgern und politischen Eliten.
Langjähriges EU-Bashing hinterlässt seine Spuren: Stolze acht von zehn Tschechen meinen daher, die EU werde als Sündenbock missbraucht, um von eigenen Fehlleistungen abzulenken. Sowohl der nationalen als auch der europäischen Politik fehlt es an Vertrauen. Vor diesem Hintergrund für mehr Fairness in der Debatte zu plädieren, und sich nicht nur gegenseitig die Schuld für Probleme zuzuschieben, mag naiv sein. Aber was sonst als ein rationaler Diskurs über Europa würde die Chancen verbessern, auch einmal über der Prager Burg die EU-Stimmung etwas aufzuhellen.