Handlungsempfehlungen
- Niederschwellige, nationalstaatliche Übergangsmöglichkeiten vom temporären Schutz in einen dauerhaften Aufenthaltstitel schaffen.
- Nostrifizierungsverfahren und Anerkennung ukrainischer Diplome vereinfachen und harmonisieren.
- Praktikums- und Mentoringprogramme für qualifizierte ukrainische Fachkräfte erweitern.
Zusammenfassung
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat zur schnellsten und größten Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Als Reaktion auf die vollständige Invasion Russlands am 24. Februar 2022 aktivierte die Europäische Union (EU) die Massenzustromrichtlinie, um kriegsvertriebenen Ukrainer:innen schnelle und wirksame Hilfe zu leisten. Im Rahmen des so ermöglichten temporären Schutzes erhielten vertriebene Ukrainer:innen sofortige Aufenthaltserlaubnis und Zugang zu Arbeitsmarkt, Wohnraum, medizinischer Versorgung und Bildung. Sie durften ihr Heimatland ohne Verlust des Schutzstatus besuchen und das Aufnahmeland innerhalb der EU wechseln. Obwohl die Richtlinie in allen EU-Ländern außer Dänemark gilt, verfolgte jedes Land seinen eigenen Ansatz zu ihrer Umsetzung. Die Hauptunterschiede innerhalb der EU liegen in den Bedingungen des gewährten Aufenthaltsrechts, den nationalen Anforderungen für die Anerkennung von Qualifikationen, den Möglichkeiten zum Spracherwerb sowie der Höhe der finanziellen Unterstützung, die Vertriebenen gewährt wird. Nach drei Jahren Krieg in der Ukraine zeichnen sich in der praktischen Umsetzung der Richtlinie Best-Practice-Ansätze, aber auch Negativbeispiele in den einzelnen Mitgliedstaaten ab. Eine vergleichende Analyse der Integrationsbedingungen und -erfolge ukrainischer Vertriebener in den Ländern der EU legt nahe, dass eine umfassende Neubewertung nationalstaatlicher Ansätze zur Aufnahme, Unterstützung und Integration vertriebener Ukrainer:innen helfen kann, um aus gelungenen Beispielen zu lernen und so manche Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Ungenutzte Talente? Die Arbeitsmarktintegration ukrainischer Vertriebener im europäischen Vergleich
Erfahrungen, Herausforderungen und Best-Practice-Beispiele
Ukrainische Vertriebene in der EU
Ende Dezember 2024 waren in Europa 6,25 Millionen Vertriebene aus der Ukraine registriert, rund 1,9 Millionen (etwa 25 %) mehr als im Jahr 2022.[1] Berücksichtigt man, dass laut Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM)[2] im Jahr 2023 etwa 1,02 Millionen Menschen aus der Europäischen Union (EU) in die Ukraine zurückgekehrt waren und der temporäre Schutzstatus für einige von ihnen wohl nicht mehr aktuell ist, so liegt die Gesamtzahl der Personen, die vorübergehenden Schutz in den EU-Ländern erhalten haben bzw. hatten, bei etwas über sieben Millionen. In ihrer Verteilung auf die einzelnen EU-Länder zeigen sich deutliche Unterschiede (Abbildung 1).
Abbildung 1. Vertriebene Ukrainer:innen mit temporärem Schutz in ausgewählten Ländern der EU (in %), 2024. Quelle: UNHCR (2024), eigene Berechnungen.[3]
Die meisten Vertriebenen (ca. 80 %) fanden in den Ländern Ost- und Westeuropas Zuflucht, während der kleinste Teil (etwa 9 %) in Nordeuropa lebt. Zu den Top-10 EU-Ländern, die gemeinsamen temporären Schutz für mehr als 80 % der vertriebenen Ukrainer:innen gewährt haben, gehören Polen, Deutschland, Tschechien, Spanien, Italien, Bulgarien, Rumänien, die Niederlande, die Slowakei und Österreich. Relational zur Bevölkerungsgröße sind Tschechien, Polen und Estland die größten Aufnahmeländer; Deutschland und Österreich rangieren im (oberen) Mittelfeld.
Die meisten Vertriebenen (ca. 80 %) fanden in den Ländern Ost- und Westeuropas Zuflucht, während der kleinste Teil (etwa 9 %) in Nordeuropa lebt.
Die Alters- und Geschlechterstruktur der ukrainischen Vertriebenen ist in den meisten Ländern ähnlich: Etwa ein Drittel sind Frauen im erwerbsfähigen Alter (18–49 Jahre) und etwa 30–35 % sind Kinder.[4] Jedoch zeigen sich Unterschiede bzgl. des soziodemographischen Hintergrunds. Personen mit einem höheren formalen Bildungsabschluss aus den größeren Städten der Ukraine flohen tendenziell in westeuropäische Länder wie Deutschland, Österreich und Frankreich.[5]
Sowohl die gesamte Anzahl der Vertriebenen in der EU als auch die Zahl jener, die sich entschieden, fürs Erste oder dauerhaft im Aufnahmeland zu bleiben, ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Zudem kam es innerhalb Europas zu Sekundärmigration, vor allem von höher gebildeten Ukrainer:innen aus Osteuropa nach Westeuropa. Unter Berücksichtigung dieser Tendenzen und der Tatsache, dass der temporäre Schutz für Vertriebene auf EU-Ebene bis März 2026 verlängert wurde, lässt sich für die kommenden Jahre ein erheblicher Anteil an Ukrainer:innen in der EU prognostizieren. Dies erfordert besondere Aufmerksamkeit für ihre Beschäftigungsprozesse.
Die Integration vertriebener Ukrainer:innen in die Arbeitsmärkte der EU
Nach drei Jahren Krieg lässt sich eine allmähliche Integration vertriebener Ukrainer:innen in die Arbeitsmärkte der EU konstatieren. Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Erwerbstätigen bei durchschnittlich 30 % bis 40 %.[6] Damit ist die Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Vertriebenen hinter den teils überzogenen Erwartungen im Jahr 2022 zurückgeblieben, die angesichts ihres durchgehend hohen Bildungsniveaus getroffen wurden. Jedoch sind die aktuellen Erwerbsquoten unter der Berücksichtigung, dass die Mehrheit der Vertriebenen Frauen mit (kleinen) Kindern sind (was ihre Vollzeitbeschäftigung erschwert), und im Vergleich zur Erwerbstätigkeit von Frauen aus anderen Fluchtkohorten, vergleichsweise hoch. So waren beispielweise nur rund 5 % aller erwerbsfähigen geflüchteten Frauen, die zwischen 2014 und 2017 vorrangig aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland gekommen waren, zwei Jahre nach ihrer Ankunft erwerbstätig.[7]
Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Erwerbstätigen bei durchschnittlich 30 % bis 40 %.
Obgleich die Datenlage zur Erwerbstätigkeit von Ukrainer:innen je nach Land erheblich variiert, lassen sich nach drei Jahren Krieg Beschäftigungstrends sowie regionale Unterschiede identifizieren (Abbildung 2).
Abbildung 2. Beschäftigungsquoten vertriebener Ukrainer:innen in Ländern der EU im Jahr 2023 (in %). Quelle: Kosyakova et al. (2024), Tkalych et al. (2023), UNHCR and Deloitte (2024), Červenka (2024), IOM (2024).[8]
Derzeit ist die Beschäftigungsquote ukrainischer Vertriebenen am niedrigsten in den westeuropäischen und am höchsten in den osteuropäischen Ländern der EU.[9] Die höhere Beschäftigungsquote in den osteuropäischen Ländern lässt sich sowohl durch kulturelle Faktoren – Sprachkenntnisse und Ähnlichkeit der Landessprachen, Präsenz der ukrainischen Diaspora bereits vor Kriegsausbruch und bestehende berufliche Kontakte –, als auch durch die politische Ausrichtung dieser Länder auf die rasche Arbeitsmarktintegration der Vertriebenen erklären. Beispielsweise führte in Polen die unbürokratische Anerkennung beruflicher Ausbildungen zur rascheren Erwerbsaufnahme. Infolgedessen verlief der Integrationsprozess vertriebener Ukrainer:innen in den polnischen Arbeitsmarkt vergleichsweise schnell. Bereits im Mai 2022 lag ihre Beschäftigungsquote bei 28 %, im November 2022 betrug sie 65 %.[10] Ende 2022 zahlten in Polen arbeitende Ukrainer:innen bereits dreimal so viele Steuern wie der Staat für ihre Unterstützung ausgegeben hatte.[11] Jedoch zeigen Studien, dass die hohe Beschäftigungsquote in den osteuropäischen Ländern in erheblichem Maße davon abhing, ob Vertriebene zu Beginn des Krieges bereit waren, unter ihrem Qualifikationsniveau zu arbeiten, was mit wenig Sprachkenntnissen möglich war. Der Anteil der ukrainischen Beschäftigten war deshalb in Ländern mit hoher Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften von Anfang an höher.[12]
Ende 2022 zahlten in Polen arbeitende Ukrainer:innen bereits dreimal so viele Steuern wie der Staat für ihre Unterstützung ausgegeben hatte.
Im Gegensatz zu den osteuropäischen Ländern blieb die Beschäftigungsquote der Ukrainer:innen in den westeuropäischen Ländern nach einem Jahr Aufenthalt niedrig und begann erst nach 2023 zu steigen. Der Hauptunterschied besteht im „language first“-Ansatz der westeuropäischen Länder („zuerst die Landessprache, dann Beschäftigung“), was langfristig bessere Arbeitsmarktchancen eröffnet. Somit ist die Beschäftigungsquote in den westeuropäischen Ländern der EU zwar niedriger, aber der Anteil der Ukrainer:innen, die entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten, etwas höher. Beispielsweise lag in Österreich der Anteil der Personen, die auf dem Niveau ihrer Qualifikation arbeiteten, zuletzt bei 35 %.[13] Umgekehrt gaben Ukrainer:innen in Osteuropa häufiger als in Westeuropa „niedrig qualifizierte Arbeit“ und „gering bezahlte Arbeit“ als Hauptprobleme bei der Arbeitssuche an.[14]
Somit ist die Beschäftigungsquote in den westeuropäischen Ländern der EU zwar niedriger, aber der Anteil der Ukrainer:innen, die entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten, etwas höher.
Ukrainische Vertriebene können also sowohl eine Herausforderung für die aufnehmenden Länder als auch ein positiver Wirtschaftsfaktor, besonders angesichts des steigenden Arbeitskräftebedarfs, sein. In welche Richtung das Pendel in Zukunft ausschlagen wird, hängt auch davon ab, ob und wie weit Mitgliedstaaten bei der Entwicklung ihrer Politiken die Besonderheiten und Ressourcen der ukrainischen Fluchtbewegung berücksichtigen.
Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze in der Arbeitsmarktintegration ukrainischer Vertriebener
Herausforderung 1: Temporärer Schutz vs. dauerhafter Aufenthalt
Die meisten Mitgliedstaaten hielten sich an die EU-Vorgabe, wonach der Schutzstatus für ukrainische Vertriebe nach anfänglich zwei Jahren jährlich verlängert wird. Die damit einhergehende fehlende Planungssicherheit erschwert jedoch die Beschäftigungsmöglichkeiten für Vertriebene erheblich. Viele Arbeitgeber:innen zögern, langfristige Verträge mit Personen abzuschließen, die nur über einen begrenzten Aufenthaltstitel verfügen.
Die EU-weite Verlängerung des vorübergehenden Schutzes für Ukrainer:innen im Jahr 2025 um ein weiteres Jahr (bis März 2026) kann somit keine dauerhafte Lösung darstellen. Einige Länder ermöglichen bereits jetzt den Wechsel auf einen permanenten Aufenthaltstitel. So schuf beispielsweise Polen ab 2025 den unbürokratischen Übergang in eine Aufenthaltserlaubnis von bis zu drei Jahren für jene Ukrainer:innen, die bis März 2024 und zum Zeitpunkt der Antragstellung temporären Schutz in Polen genossen, und zwar ununterbrochen für 365 Tage.[15] Österreich erlaubte ab Oktober 2024 jenen ukrainischen Vertriebenen, die bestimmte Kriterien erfüllen (darunter mehr als ein Jahr Beschäftigung mit vollem Gehalt, einen Arbeitsplatz mit einem bestimmten Einkommensniveau und einen Mietvertrag), auf die sogenannte „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ für qualifizierte Arbeitskräfte umzusteigen.[16]
Dennoch sind dies nur nationale Einzelmaßnahmen, denn an einer harmonisierten Lösung für den dauerhaften Aufenthalt ukrainischer Vertriebener in der EU fehlt es weiterhin. Bei Weitem nicht alle Vertriebenen erfüllen die Anforderungen für den Erhalt anderer, nationaler Aufenthaltserlaubnisse, gleichzeitig ist ihre Rückkehr in die Ukraine auf absehbare Zeit nicht möglich.
Es gilt nun, drei Jahre nach ihrer Ankunft, Mechanismen auf EU-Ebene zu schaffen, die es Vertriebenen aus der Ukraine ermöglichen, niederschwellig in einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu wechseln. Darüber hinaus müssen die Besonderheiten der Geschlechts- und Altersstruktur der ukrainischen Vertriebenen sowie der erhebliche Anteil Alleinerziehender beim Übergang in einen anderen Status berücksichtigt werden. Für beide Gruppen sind viele damit verbundene Kriterien zu hochschwellig und (noch) nicht erfüllbar.
Es gilt nun, drei Jahre nach ihrer Ankunft, Mechanismen auf EU-Ebene zu schaffen, die es Vertriebenen aus der Ukraine ermöglichen, niederschwellig in einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu wechseln.
Herausforderung 2: Sprachbarrieren
Der Zusammenhang zwischen Sprachkenntnissen in der Landesprache des Aufnahmelandes und der Beschäftigungswahrscheinlichkeit von ukrainischen Vertriebenen wurde zuletzt von einer Studie des Deutschen Instituts für Arbeit und Beschäftigung (IAB) nachgewiesen. In der vergleichenden Analyse von Kosyakova et al. zeigte sich, dass Vertriebene häufiger in Ländern mit sprachlicher Ähnlichkeit zur ukrainischen Sprache (z. B. Polen) oder in Ländern mit hohem Englischniveau der Wohnbevölkerung (z. B. Litauen, Niederlande, Großbritannien)[17] einen Arbeitsplatz fanden. Staaten, in denen von Arbeitgeber:innen traditionell ein hohes Niveau in der Landessprache gefordert wird – darunter sind vor allem die deutschsprachigen Ländern zu nennen –, weisen maximal durchschnittliche Beschäftigungsquoten auf (um die 30 %), trotz eines gut ausgebauten Integrationsangebots.
Wenig überraschend wurden Sprachbarrieren von 73 % der befragten Ukrainer:innen als das größte Problem bei der Arbeitsmarktintegration in Europa genannt. Dabei lag der Anteil der Befragten, die die Landessprache auf mittlerem Niveau oder höher beherrschen, in den osteuropäischen Ländern deutlich höher als in den westeuropäischen. Bezieht man jedoch die Ähnlichkeit der ukrainischen Sprache mit den Sprachen Osteuropas in die Bewertung mit ein, so schreitet der Spracherwerb in Westeuropa vergleichsweise schnell voran.[18] Dies liegt u. a. daran, dass in den westeuropäischen Ländern (wie Österreich, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Schweden) die Vermittlung der Landessprache ein fester Bestandteil bestehender Integrationsprogramme ist. Geflüchtete haben nach Erhalt des temporären Schutzes die Möglichkeit, innerhalb von 1–2 Jahren spezialisierte Sprachkurse bis hin zu den höchsten Niveaustufen zu besuchen, wobei Kosten für Kurse und Prüfungen in den meisten Ländern vom Staat übernommen werden. Damit werden eine große Anzahl von Geflüchteten erreicht und gleichzeitig die Qualität der Sprachvermittlung sichergestellt.
Bezieht man jedoch die Ähnlichkeit der ukrainischen Sprache mit den Sprachen Osteuropas in die Bewertung mit ein, so schreitet der Spracherwerb in Westeuropa vergleichsweise schnell voran.
So etwa haben 75 % aller ukrainischen Vertriebenen in Österreich innerhalb von zwei Jahren an Deutschkursen teilgenommen. Umfragen zufolge verfügen 47 % von ihnen über Deutschkenntnisse auf Niveau B1 oder höher.[19] Das ist ein im EU-Schnitt hohes Niveau, jedoch wird selbst in den deutschsprachigen Ländern, die über ein gut ausgebautes Integrationssystem verfügen, der Sprachlernprozess durch lange Wartezeiten zwischen den verschiedenen Niveaustufen und fehlendes bzw. schwer erreichbares Angebot in ländlichen Regionen erschwert. Oft fehlt es auch an ausreichenden Betreuungseinrichtungen für Kinder, damit alleinerziehende Mütter die Sprachkurse besuchen können.[20] Die Überwindung von Sprachbarrieren erfordert einen umfassenden Ansatz, der flächendeckendes Angebot an Kursen, niederschwelligen Zugang und finanzielle Unterstützung umfasst. Nicht alle EU-Länder können solche Maßnahmen schnell umsetzen, da sie Ressourcen und Zeit erfordern.
Durch Online-Angebote können Barrieren wie Lehrkräftemangel, schwere Erreichbarkeit der Kurse in abgelegenen ländlichen Gebieten und Betreuungsverpflichtungen reduziert werden.
Um die digitalen Kompetenzen, über die viele ukrainische Vertriebene verfügen, zu nutzen, können Online-Ressourcen zum Spracherwerb oder für die Überwindung von Sprachbarrieren im Alltag eingesetzt werden. Ein Beispiel für die gezielte Nutzung der hohen Digitalkompetenz ukrainischer Vertriebener ist das Online-Angebot des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF),[21] das bis zu 70 Online-Lektionen pro Woche, kostenlose Lernmaterialien und Vorbereitungskurse für Prüfungen bietet. Solche Angebote können im Sinne des Blended Learnings vertiefende Inhalte zu den Präsenzkursen ab dem Anfängerniveau bieten und um spezielle Kurse für fortgeschrittene Lernende, wie fachspezifische Terminologie für bestimmte Berufsgruppen, ergänzt werden. Durch Online-Angebote können Barrieren wie Lehrkräftemangel, schwere Erreichbarkeit der Kurse in abgelegenen ländlichen Gebieten und Betreuungsverpflichtungen reduziert werden.
Herausforderung 3: Beschäftigung unterhalb des Qualifikationsniveaus
Die Beschäftigung von Ukrainer:innen unterhalb ihres Qualifikationsniveaus hat verschiedene, miteinander verschränkte Ursachen, die in geringerem Ausmaß auch auf andere Fluchtkohorten und auf Migrant:innen generell zutreffen. Dazu zählen im besonderen folgende Aspekte.
- Erhöhte Anforderungen an das erworbene Sprachniveau, da die meisten (hoch-)qualifizierten Berufe Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2 oder C1 und berufsspezifischen Wortschatz erfordern.
- Bürokratische, mühsame und langsame Anerkennungsverfahren bestimmter Abschlüsse und Berufe, die sich je nach Mitgliedstaat unterscheiden. Dies betrifft insbesondere medizinische und pädagogische Berufe, deren Nostrifizierungsprozess mehrere Jahre dauern kann.
- Fehlende Kontakte im Aufnahmeland, was oft zu mangelnden Kenntnissen über Beschäftigungsmöglichkeiten im eigenen Berufsfeld führt. Obwohl Ukrainer:innen in fast allen EU-Ländern Zugang zu Arbeitsvermittlungsdiensten haben, bleibt das Angebot an Stellen für hochqualifizierte Fachkräfte begrenzt.
Innerhalb früherer Flüchtlingskohorten war dieses Problem aufgrund eines insgesamt niedrigen Qualifikationsniveaus weniger ausgeprägt und konnte etwa durch berufsspezifische Sprachkurse adressiert werden. Die ukrainische Fluchtbewegung mit ihrem hohen Anteil akademisch gebildeter Fachkräfte machte jedoch in vielen Aufnahmeländern die Entwicklung neuer Integrationsansätze notwendig.
Um den Vertriebenen eine möglichst passgenaue Arbeitsplatzvermittlung zu ermöglichen, wurde beispielsweise in Polen ein vereinfachtes Verfahren für medizinische Fachkräfte aus der Ukraine eingeführt. Dieses spezielle Programm umfasst ein vereinfachtes Zulassungsverfahren in Kombination mit maßgeschneiderten Sprachkursen. Aktuell müssen Ärzt:innen erst bis Ende April 2026 Kenntnisse der polnischen Sprache auf B1-Niveau nachweisen.[22] Ein Sondergesetz gewährt medizinischen Fachkräften (Ärzt:innen, Pflegekräften, Hebammen und anderem medizinischen Personal) eine befristete Ausübung ihres Berufs, wodurch die sonst langwierigen Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene medizinische Qualifikationen entfallen.[23] Durch diesen unbürokratischen Zugang konnten der steigende Ärztemangel in Polen adressiert und die Beschäftigung ukrainischer Ärzt:innen gefördert werden.
Um den Vertriebenen eine möglichst passgenaue Arbeitsplatzvermittlung zu ermöglichen, wurde beispielsweise in Polen ein vereinfachtes Verfahren für medizinische Fachkräfte aus der Ukraine eingeführt.
Ein österreichisches Best-Practice-Beispiel wiederum verdeutlicht die Relevanz von Praktikumsprogrammen für qualifizierte Fachkräfte. Im Rahmen des Professional Integration HUB, finanziert von der ERSTE-Stiftung und implementiert vom ukrainisch-geführten European Centre for Freedom and Independence, wird die berufliche Weiterentwicklung ukrainischer Fachkräfte gefördert, indem sie in das berufliche Umfeld in Österreich integriert werden. Das Programm umfasst ein Praktikum von bis zu drei Monaten in führenden Unternehmen und Organisationen in Österreich, die Vermittlung von fachspezifischem Deutsch und Kommunikationskompetenzen, sowie Workshops zu kulturellen und betrieblichen Besonderheiten in Österreich.
Ein österreichisches Best-Practice-Beispiel wiederum verdeutlicht die Relevanz von Praktikumsprogrammen für qualifizierte Fachkräfte.
Sowohl Praktikumsprogramme als auch vereinfachte Ansätze zur Anerkennung von Berufen entstanden eher spontan als Reaktion auf neue Herausforderungen nach der Ankunft ukrainischer Vertriebener, entfalteten jedoch hohe Wirksamkeit und sollten in die Weiterentwicklung allgemeiner Ansätze zur Erwerbsintegration geflüchteter Menschen in europäischen Aufnahmeländern einfließen.
Fazit
Die Integration ukrainischer Vertriebener lässt nationalstaatliche Defizite, aber auch Chancen und Gelingensfaktoren in den Ländern der EU erkennen. Als herausfordernd für eine rasche Erwerbsaufnahme erwiesen sich fehlende Kenntnisse in der Landessprache, langwierige Anerkennungsverfahren von im Ausland erworbenen Qualifikationen und ein nur vorübergehender Aufenthaltstitel, der verunsichernd auf Arbeitgeber:innen wie auch Vertriebene wirken kann. Basierend auf aktuellen Studien und nationalen Arbeitsmarktintegrationsdaten empfehlen wir die Schaffung von niederschwelligen Übertrittsmöglichkeiten vom temporären Schutzstatus auf einen dauerhaften Aufenthaltstitel, die verstärkte Nutzung von Online-Angeboten zur Überwindung von Sprachbarrieren sowie Maßnahmen zur Beschäftigung hochqualifizierter Fachkräfte, darunter die erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen und eine breitere Verfügbarkeit von Praktikums- und Mentoringprogrammen. Best-Practice-Beispiele in west- wie auch osteuropäischen Ländern machen vor, wie die Integration von ukrainischen Vertriebenen gelingen, sie nationale Arbeitsmärkte stärken und zur europäischen Kohäsion beitragen kann.
[1] UNHCR. Refugees from Ukraine registered for Temporary Protection or similar national protection schemes in Europe. Operational Data Portal. 01.01.2025. https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine
[2] Sohst, Ravenna, Tino Tirado, Lucía Salgado, Jasmijn Slootjes. Exploring Refugees’ Intentions to Return to Ukraine. 2024. p. 13. https://www.migrationpolicy.org/sites/default/files/publications/mpie-iom_ukraine-return-intentions-2024-final.pdf (abgerufen am 31.01.2025).
[3] UNHCR. Refugees from Ukraine registered for Temporary Protection or similar national protection schemes in Europe. Operational Data Portal. 01.01.2025. https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine
[4] Ende 2024 waren 23,2 % der ukrainischen Vertriebenen in der EU erwachsene Männer. Eurostat, Statistic explained, February 2025. https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Temporary_protection_for_persons_fleeing_Ukraine_-_monthly_statistics, (abgerufen am 17.02.2025).
[5] Judith Kohlenberger, Isabella Buber-Ennser, Konrad Pędziwiatr, Bernhard Rengs, Ingrid Setz, Jan Brzozowski, Bernhard Riederer, Olena Tarasiuk, Ekateriana Pronizius. Ukrainian Refugees in Vienna and in Kraków. PLoS ONE, 18(12), 2023. e0279783. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0279783
[6] Marianna Tkalych, Tetiana Skrypchenko, Olga Dukhnich. Comparative Research: A pan-European Study of Ukrainians in Europe. RATING LAB. August 2023. p. 45-60. https://www.ngobg.info/uf/news/2023/09/05/3909729273/rl-refugees-from-ukraine-in-the-eu.pdf; UNHCR. Lives on Hold: Intentions and Perspectives of Refugees from Ukraine #3. February 2023. p. 8. https://data.unhcr.org/en/documents/details/99072; Yuliya Kosyakova, Kseniia Gatskova, Theresa Koch, Davit Adunts, Joseph Braunfels, Laura Goßner, Regina Konle-Seidl, Silvia Schwanhäuser, und Marie Vandenhirtz. Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Eine internationale Perspektive. IAB-Forschungsbericht 16 (2024). https://iab.de/publikationen/publikation/?id=14119812 (abgerufen am 01.09.2024).
[7] Herbert Brücker, Yuliya Kosyakova, und Eric Schuß. Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte. (4) 2020. https://doku.iab.de/kurzber/2020/kb0420.pdf
[8] Yuliya Kosyakova et al. Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Eine internationale Perspektive (2024); Marianna Tkalych et al. Comparative Research: a pan-European Study of Ukrainians in Europe (2023). UNHCR and Deloitte. Poland: Analysis of the impact of refugees from Ukraine on the economy of Poland. Report March 2024. https://data.unhcr.org/en/documents/details/106993 (abgerufen am 31.01.2025); Jan Červenka. Ukraijinští Uprchlíci v České Republice 2024. p. 71. https://mv.gov.cz/soubor/ukrajinsti-uprchlici-v-ceske-republice-2024-pdf.aspx (abgerufen am 31.01.2025); International Organization for Migration (IOM), April 2024. DTM Estonia Needs and Intentions of Ukrainian Nationals. Annual Report, 2023. 2024. Tallinn, Estonia.
[9] Marianna Tkalych et al. Comparative Research: a pan-European Study of Ukrainians in Europe (2023).
[10] UNHCR and Deloitte. Poland: Analysis of the impact of refugees from Ukraine on the economy of Poland (2024).
[11] Anna Bałakyr. Українці платять більше податків у Польщі, ніж країна витрачає на біженців. 31.10.2022. https://Українці платять більше податків у Польщі, ніж країна витрачає на біженців
[12] Yuliya Kosyakova, Kseniia Gatskova, Theresa Koch, Davit Adunts, Joseph Braunfels, Laura Goßner, Regina Konle-Seidl, Silvia Schwanhäuser, und Marie Vandenhirtz. Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Eine internationale Perspektive. IAB-Forschungsbericht 16 (2024) p. 22-24. https://iab.de/publikationen/publikation/?id=14119812 (abgerufen am 01.09.2024).
[13] Saskia Heilemann. Vertriebene aus der Ukraine in Österreich. Risikofaktoren im Bereich des Wohnens. April 2023. p. 24. Internationale Organisation für Migration (IOM), Wien.
[14] Comparative Research: A pan-European Study of Ukrainians in Europe. RATING LAB. August 2023. p. 45-60. https://www.ngobg.info/uf/news/2023/09/05/3909729273/rl-refugees-from-ukraine-in-the-eu.pdf
[15] Informacja w sprawie wniosków o wydanie tzw. karty pobytu CUKR. 16.07.2024. https://Informacja w sprawie wniosków o wydanie tzw. karty pobytu CUKR – Urząd do Spraw Cudzoziemców – Portal Gov.pl (auf Polnisch)
[16] Informationen für ukrainische Staatsangehörige. https://www.oesterreich.gv.at/themen/menschen_aus_anderen_staaten/aufenthalt/Informationen-f%C3%BCr-ukrainische-Staatsangeh%C3%B6rige.html
[17] Yuliya Kosyakova, Kseniia Gatskova, Theresa Koch, Davit Adunts, Joseph Braunfels, Laura Goßner, Regina Konle-Seidl, Silvia Schwanhäuser, und Marie Vandenhirtz. (2024). Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Eine internationale Perspektive. IAB-Forschungsbericht Nr. 16. p. 72. https://iab.de/publikationen/publikation/?id=14119812 (abgerufen am 01.09.2024).
[18] Arianna Tkalych et al. Comparative Research: a pan-European Study of Ukrainians in Europe (2023).
[19] Wolfgang Maza, Sonja Dörfler-Bolt, Markus Kaindl. Ukraine-Vertriebene in Österreich zwei Jahre nach Kriegsbeginn Folgeerhebung zur Situation der Ukraine-Vertriebenen im Alter von 18 bis 55 Jahren. 2024. p. 17-18. https://www.integrationsfonds.at/fileadmin/content/AT/monitor/Studie_Ukraine-Vertriebene.pdf (abgerufen am 31.01.2025).
[20] Das betrifft nicht (nur) Sprachkurse mit integrierter Kinderbetreuung, sondern die generelle Verfügbarkeit von Kindergartenplätzen in Österreich. Laut Wirtschaftskammer fehlen für Kinder unter 3 Jahren 39.000 Betreuungsplätze, bei den drei- bis sechsjährigen Kindern sind es 14.000. Wirtschaftskammer Österreich. (2023). Agenda Kinderbildung & Kinderbetreuung. https://www.wko.at/oe/news/agenda-kinderbetreuung.pdf
[21] Sprachportal des Österreichischen Integrationsfonds. https://sprachportal.at/ (abgerufen am 31.01.2025).
[22] Оголошення про правила працевлаштування медичного персоналу з України в Польщі. https:// Оголошення про правила працевлаштування медичного персоналу з України в Польщі – Сайт для громадян України – Portal Gov.pl
[23] Iuliia Lashchuk. From Displacement to Employment: Comparing the Labor Market Integration of Ukrainian Women in Poland, Italy, and Germany1. MIDEM-Policy Paper 1 (2025), Dresden. p. 12.
ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor:innen arbeitet, überein.
Schlagwörter
Ukraine, Flucht, Migration, Integration, Arbeitsmarkt, Aufenthalt, Sprache
Zitation
Kohlenberger, J., Denys, O. (2025). Ungenutzte Talente? Die Arbeitsmarktintegration ukrainischer Vertriebener im europäischen Vergleich. Wien. ÖGfE Policy Brief, 02’2025
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