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Schrumpfen lernen: Neue wirtschaftspolitische Wege im demografischen Wandel

Von Kurt Bayer

Handlungsempfehlungen

  1. Akzeptanz eines kleineren Arbeitsmarktes und einer kleineren Wirtschaft anstatt geplanter Arbeitsimmigration.
  2. Entwicklung einer Strategie für den Übergang zu einer kleineren Wirtschaft.
  3. Sicherstellung der Finanzierung des Sozialsystems sowie bestmögliche Nutzung der vorhandenen menschlichen Ressourcen, um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik einer kleineren Gesellschaft zu erhalten.

Policy-Kernbotschaft

Weniger ist das neue Mehr.

Den Wandel gestalten,
nicht erdulden.

Solidarisch stark in kleinerer Gesellschaft.

Zusammenfassung

Eine durch niedrige Geburtenraten stagnierende oder zahlenmäßig schrumpfende Gesellschaft soll nicht als Schicksalsschlag, als Negativum, gesehen werden. Das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem kann und muss lernen, einen produktiven Umgang damit zu finden, anstatt zu versuchen, das derzeitige Arbeitsvolumen durch Immigration, höhere Erwerbsquoten und Produktivitätssteigerungen krampfhaft aufrechtzuerhalten. Die meisten Industrieländer versuchen, ihre durch Alterung und letztlich Schrumpfung der Bevölkerung ausgelösten Arbeitsmarktprobleme durch die (legale) Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland zu lösen. Dies schafft nicht nur dort Braindrain-Probleme, sondern führt auch in den Zielländern zu gravierenden sozialen Integrationsproblemen. Statt auf Immigration zu setzen sollten sich die Länder mit der Tatsache schrumpfender Bevölkerung und kleinerer Arbeitsmärkte abfinden und Strategien entwickeln, wie der Wohlstand der Einzelnen trotzdem sichergestellt werden kann. Strategien können auf den klimabedingten Vorarbeiten der Degrowth- und Post-Growth-Literatur oder auf feministischen Ökonomiemodellen aufbauen.

Für konstruktive Kommentare bin ich Wolfgang Blaas, Alois Guger, Konstantin Huber, Helmut Mahringer, Christine Mayerhuber, Susan Milford-Faber, Paul Schmidt und Stephan Schulmeister dankbar. Für die getroffenen Aussagen sind sie nicht verantwortlich.

Die Ausgangslage

In den meisten Industrieländern, in der Europäischen Union (EU) und zunehmend auch in einigen Schwellenländern, erreicht die durchschnittliche Fertilitätsrate nicht mehr die für die Stabilisierung der Bevölkerung notwendigen 2,1 Geburten je Frau[i].  In Österreich beträgt sie 1,4, ebenso in der EU, in Japan 1,3, in den USA 1,7, in Frankreich 1,7, in China 1,2, in Russland 1,4. Bereits jetzt sinkt das Bevölkerungswachstum deutlich, mittelfristig schrumpfen Bevölkerung und Beschäftigung. Viele Länder müssen daher schon heute mit einer „alternden“ Bevölkerung und deren Auswirkungen leben. Laut UNO-Prognosen ist allerdings Europa die einzige Weltregion mit bereits bis 2050 fallender Bevölkerungszahl[ii].

Viele Länder müssen daher schon heute mit einer „alternden“ Bevölkerung und deren Auswirkungen leben.

Für die Produktionsseite der Volkswirtschaft ist vor allem die Zahl der aktiven und potenziell Erwerbstätigen relevant. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-64) wird in Europa von 64,8 % heute bis 2050 auf 57,2 % fallen (1950 betrug er noch 65,7 %), jener der über 65-Jährigen wird voraussichtlich von 16,0 % 2020 auf 27,8 % ansteigen (1950: 13,5%). In Österreich sinkt (inklusive Migration) bei laut Prognose wachsender Bevölkerung (2025: 9,2 Millionen, 2080: 10,5 Millionen) die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (20-65) von 5,5 Millionen im Jahr 2025 bis 2050 auf 5,3 Millionen und bis 2080 auf 5,2 Millionen, während die der über 65-jährigen von 1,9 Millionen im Jahr 2025 auf 2,7 Millionen 2050 und sogar auf 3,0 Millionen bis 2080 steigen soll[iii].

Das herrschende wirtschaftspolitische Paradigma strebt danach, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) permanent zu steigern. Schrumpft die Wirtschaft längerfristig, ergeben sich die wichtigsten negativen Auswirkungen bei der Finanzierung des Pensions- und Gesundheitssystems, in zunehmenden Lücken bei der personellen Versorgung älterer Menschen, in sichtbar werdenden Fachkräfteengpässen, in Problemen mit dem Generationenvertrag[iv] und in der Aufrechterhaltung der Dynamik der Wirtschaft. Für deren Finanzierung ist jedoch nicht nur die Zahl der Beschäftigten und/oder Arbeitsstunden relevant, sondern auch deren Entlohnung, die in den letzten Jahrzehnten mit der Beschäftigungsquote nicht Schritt gehalten hat. Sichtbar wird dies  durch die ungleicher gewordene Verteilung der beitragspflichtigen Einkommen (Stichwort: Höchstbeitragsgrundlage), sowie die sinkende Lohnquote am Volkseinkommen[v].

Die meisten Länder versuchen, sich mit folgenden Maßnahmen gegen diese Alterung bzw. Schrumpfung zu behaupten:

a) Steigerung der Arbeitsproduktivität durch mehr bzw. bessere Ausbildung, durch Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse[vi], aber auch durch vermehrten Druck auf die Arbeitskräfte
b) Anreize zur Steigerung der Erwerbsquote Älterer
c) Steigerung der Erwerbsquote von bisher Nicht-Erwerbstätigen (hauptsächlich Frauen und Migrant:innen)
d) Gezielte Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland
e) Maßnahmen zur Steigerung der Geburtenrate

Das herrschende wirtschaftspolitische Paradigma strebt danach, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) permanent zu steigern.

In der Realität dominieren Mischformen dieser Politiken. Steigerungen der Erwerbsquoten stoßen jedoch zunehmend an Grenzen der für ein gutes Leben wichtigen Work-Life-Balance und Volksgesundheit. Die Arbeitsproduktivität stagniert in vielen Ländern seit Jahren, während massenhafte Immigration vielfach Ablehnung in der Bevölkerung schafft, weil sie Integrationsprobleme verursacht. Vor allem das Schulsystem ist derzeit  massiv überfordert, aber auch das Gesundheits- und Pflegesystem weisen deutliche Anzeichen von Überforderung auf[vii].

Steigerungen der Erwerbsquoten stoßen zunehmend an Grenzen der für ein gutes Leben wichtigen Work-Life-Balance und Volksgesundheit.

Die Europäische Kommission befasst sich in ihrem jährlichen „Ageing Report“[viii] mit der Frage von Alterung und Finanzierung der Pensionen. Sie sieht, ebenso wie der Think Tank Bruegel, in den traditionellen Politiken zur Steigerung der Erwerbstätigkeit und der Produktivität, vor allem aber in der gezielten Immigration von Arbeitskräften, die wichtigsten Strategien, um Alterung und Bevölkerungsschrumpfung zu begegnen. Damit verbleibt sie im traditionellen Wachstumsparadigma und verschließt sich weitergehenden, hier skizzierten Ansätzen.

Die ethische Komponente des Bevölkerungsrückgangs

In der kürzlich gehaltenen Auguste-Comte-Vorlesung an der London School of Economics befasst sich Laura Ferracioli, in Anlehnung an Erich Fromm, mit der Frage nach der ethischen Grundlage menschlicher Fortpflanzung. Sie kommt zum Schluss, dass der Kinderwunsch nicht durch die Befriedigung des elterlichen Wunsches nach Kindern motiviert sein sollte, sondern dass potenzielle Eltern sich vor allem die Frage stellen müssen, ob sie in der Lage sind, für das künftige Kind Bedingungen für ein glückliches Leben zu schaffen. Weiter stellt sie fest, dass der „liberale Staat“ sich nicht in diese persönliche, intime Entscheidung einmischen dürfe. Daher lehnt sie „pro-birth“-Politiken ab und kommt zum Schluss, dass auch produktivitätssteigernde Maßnahmen oder die Anhebung des Pensionsantrittsalters deutliche Grenzen hätten. Vor allem aber habe die Hoffnung die Arbeitsmarktprobleme einer alternden Gesellschaft durch Immigration zu lösen, mehr (soziale) Kosten als Nutzen. Daher müsse sich der liberale Staat grosso modo mit einer schrumpfenden Bevölkerung abfinden und die entsprechenden Anpassungen vornehmen, so wie auch in diesem Policy Brief argumentiert wird.

Vor allem aber habe die Hoffnung die Arbeitsmarktprobleme einer alternden Gesellschaft durch Immigration zu lösen, mehr (soziale) Kosten als Nutzen.

Wirtschaftswachstum über alles?

Die im Mainstream weitgehend akzeptierte Maßzahl für gesellschaftliches Wohlbefinden, das BIP und seine kontinuierliche Steigerung, hat sich aus ökologischer und gesellschaftlicher Sicht als fatales Ziel herausgestellt[ix]. In der ökologisch und gesellschaftspolitisch fundierten Post-Growth-Debatte der letzten Jahrzehnte kommt dies klar zum Ausdruck. Die hier angesprochene Schrumpfung der Erwerbsbevölkerungen in den Industrieländern verstärkt die ökologisch motivierte Wachstumsskepsis.

Die im Mainstream weitgehend akzeptierte Maßzahl für gesellschaftliches Wohlbefinden, das BIP und seine kontinuierliche Steigerung, hat sich aus ökologischer und gesellschaftlicher Sicht als fatales Ziel herausgestellt.

Die Verfolgung eines steigenden Wirtschaftswachstums–und als Voraussetzung dafür eine dauerhaft wachsende Bevölkerung – geht auf zwei Stränge zurück:

Eine steigende und hohe Bevölkerung war Jahrhunderte lang gleichgesetzt mit wachsender politischer Macht, die durch die Art der Kriegsführung („Mann gegen Mann“) jenen Ländern, die über mehr Menschen verfügten, mehr militärische Stärke und damit auch mehr Territorium bescherten. Heutige Kriegsführung (weitreichende Raketen, Drohnen, Cyberkrieg, Flugzeuge) macht große Heeresgrößen weniger wirksam (Gegenbeispiele wie der Ukraine-Krieg werden zunehmend zur Ausnahme).

  1. Die Steigerung des BIP hingegen ist seit der Industrialisierung gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts Hauptziel traditioneller Wirtschaftspolitik (klassische, neoklassische, neoliberale Ökonomie). Erklärbar ist dies für die heutigen Industrieländer durch die damalige Armut der Bevölkerung, die mit der Industrialisierung einhergehende Urbanisierung und Verelendung der Slumbevölkerung, ebenso wie für die heutigen Entwicklungsländer, bei denen oft nicht einmal die grundlegende Versorgung der Menschen gewährleistet ist.
  2. Während die theoretische Ökonomie kein stetiges Wachstum fordert, hat sich die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auf Steigerung des Wirtschaftswachstums als zentrales Ziel verständigt.

Kritik am Wachstumsparadigma

Der Wirtschaftshistoriker Angus Maddison hat eindrücklich gezeigt, dass Weltwirtschaft und Bevölkerung bis zur Industrialisierung weitestgehend stagnierten (in den ersten 1.000 Jahren 0,01 % BIP-Wachstum pro Jahr bei doppelt so starkem Bevölkerungswachstum). Erst seither nehmen Wirtschaft und Beschäftigung signifikant zu (zwischen 1870 und 1913: 2,1 % p. a. bei 0,8 % Bevölkerungswachstum; zwischen 1950 und 2014: 4,9 % p. a. bei 1,2 % Bevölkerungszuwachs; seither etwa 3 % bei 1,6 % jährlichem Bevölkerungswachstum). Dass weiteres Wirtschaftswachstum Hauptziel der die Welt dominierenden Wirtschaftspolitik war und ist, geht aus Tausenden von Dokumenten und ökonomischen Werken hervor. Es war und ist weitgehend allgemeiner Konsens und Mainstream und dominiert auch die EU-Wirtschaftspolitik. Dieser Konsens wurde erst durch das Werk „Die Grenzen des Wachstums“ (1972) von Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers und William W. Behrens III sowie seither von vielen anderen Autor:innen durchbrochen. Sie betonen vor allem die negativen ökologischen Folgen des bisherigen BIP-Wachstums. Die Politik reagierte darauf am stärksten durch die Abkommen zur Begrenzung der CO₂ Emissionen (z. B. das Pariser Abkommen). In den letzten Jahren (etwa bei Thomas Piketty u. a.) werden auch die den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstörenden massiven Umverteilungen von Einkommen und Vermögen dieses Wachstumsmodells als zerstörerisch betont.

Auf dieser Wachstumsskepsis aufbauende Modelle von „Degrowth“, „Post-Growth“, aber auch der feministischen Ökonomie und der Gemeinwohlökonomie versuchen, die Wirtschaftspolitik vom Ziel der Maximierung des BIP wegzubringen. Sie argumentieren mit den ökologischen und politischen bzw. sozialen Folgen des herrschenden Paradigmas. Sie fordern einen gezielten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit sowie die Forcierung öffentlicher Güter (von der Care-Arbeit bis zur Bekämpfung des Klimawandels) anstelle der Konzentration auf privaten Konsum. Inwieweit diese konkreten Ansätze in der Lage sind, den notwendigen Umbau zu bewerkstelligen, ist heftig umstritten[x]. Fakt ist auch, dass es starke Interessen gibt, dieses System aufrechtzuerhalten.

Wichtig an diesen neueren Ansätzen ist, dass – im Gegensatz zur herrschenden Lehre – die ökologischen und politischen Folgen des Wirtschaftswachstums nicht bloß als „negative externe Effekte“ gesehen werden, die dann mit eigenen Maßnahmen (End-of-Pipe) zu bekämpfen sind, sondern dass sie als konstitutiv für den herrschenden Wachstumsprozess wahrgenommen werden. Besonders die feministische Ökonomie (z. B. Frigga Haug) betont die Rolle der Frauen im Care-Bereich als konstitutive Grundlage für jegliche ökonomische Aktivität. Alternativen müssen daher das gesamte Paradigma betreffen, nicht nur Einzelmaßnahmen definieren. In eine andere Richtung geht Steve Keen, der Energie als primäres „Gratis-Umweltgut“ einführt, das sowohl für den Arbeitseinsatz als auch den Kapitaleinsatz unabdingbar ist. Dadurch ist der erzeugte „Abfall“ (Emissionen) unausweichlich mit dem ökonomischen Prozess verbunden, und kein bloßer „externer Effekt“. Arbeits- und Kapital-Produktivität  sind dadurch zwangsläufig mit dem jeweiligen Energieverbrauch verbunden, ohne den weder Arbeit noch Kapital wirksam werden können[xi]. Stephan Schulmeister geht von massiver kurzfristiger Wachstums- bzw. Investitionsnotwendigkeit für den notwendigen Umbau aus. Er plädiert für weiter steigendes Wachstum für arme Bevölkerungsschichten bei fast stagnierenden Einkommen der „Reichen“. Kate Raworth tritt für den absoluten Vorrang der Grundversorgung mit öffentlichen Gütern ein, die Feministinnen fordern eine alternative Wohlstandsmessung. Felber plant die Wirtschaft mit Blick auf das Gemeinwohl umzustrukturieren.

In diesem Policy Brief kommt zum schrumpfenden „Umweltkapital“ und zum schrumpfenden „politisch/sozialen Kapital“ als weiterer Schrumpfungsfaktor die Bevölkerung bzw. das Erwerbspotenzial hinzu. Dieser Faktor unterliegt jedoch nicht direkt der wirtschaftspolitischen Beeinflussung, wie dies bei Umwelt und gesellschaftlicher Polarisierung der Fall ist, sondern ist ein direkt kaum beeinflussbarer „Produktionsfaktor“. Bisher sind alle Versuche, die Fertilitätsraten auf das „natürliche Reproduktionsniveau“ (2,1 Geburten je Frau) zu heben, gescheitert. Einzig höhere Kinderversorgungsraten in Zusammenhang mit weniger patriarchalischen Gesellschaftsmodellen zeigen leicht positive Wirkungen. Daher ist davon auszugehen, dass die (autochthonen) Bevölkerungen auf mittlere Frist stagnieren bzw. weiter schrumpfen.

Zusammenfassend bedeutet dies, dass eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung, die nicht durch Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland kompensiert wird, den Anliegen einer die Klimaerwärmung bekämpfenden Politik nachkommen würde – und dadurch eine „Klimadividende“ entstehen könnte.

In diesem Policy Brief kommt zum schrumpfenden „Umweltkapital“ und zum schrumpfenden „politisch/sozialen Kapital“ als weiterer Schrumpfungsfaktor die Bevölkerung bzw. das Erwerbspotenzial hinzu.

Anpassungsmechanismen an schrumpfende Erwerbsbevölkerung und erste Vorschläge

Dieser Policy Brief schlägt vor, die Tatsache der schrumpfenden Bevölkerung und Beschäftigung weitgehend zu akzeptieren und damit auch offiziell vom bisher akzeptierten Ziel der Wirtschaftspolitik, der Steigerung des gesamten BIP, abzugehen. Damit steht dieser Vorschlag in diametralem Gegensatz zur von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Immigrationsstrategie, die Nettoimmigration als den „einzigen“ Weg sieht, um die vorhandene und drohende Bevölkerungslücke auszugleichen. Die Europäische Kommission geht dabei von der Notwendigkeit aus, weiterhin BIP-Wachstum sicherzustellen[xii].

Stattdessen wird hier vorgeschlagen,  die Sicherung des Lebensstandards jedes einzelnen Mitglieds der Bevölkerung zum operativen Ziel[xiii] zu erheben – ein Ziel, das neben materiellem Wohlstand auch stark nichtmaterielle Faktoren in den Blick nimmt[xiv].

Folgende gravierende Anpassungsprobleme treten bei Akzeptanz der schrumpfenden Bevölkerung und Beschäftigung besonders in kleinen exportorientierten Ökonomien wie Österreich auf. Sie sind in geringerem Ausmaß auch bereits bei den Maßnahmen gegen die „Alterung“ präsent.

Dieser Policy Brief schlägt vor, die Tatsache der schrumpfenden Bevölkerung und Beschäftigung weitgehend zu akzeptieren und damit auch offiziell vom bisher akzeptierten Ziel der Wirtschaftspolitik, der Steigerung des gesamten BIP, abzugehen.

1. Neues Investitionsmodell jenseits des Wachstumszwangs

Eine stagnierende oder schrumpfende Wirtschaft bedroht eine der Grundfesten des herrschenden Kapitalismus, das Akkumulationsregime: Wenn Unternehmer:innen nicht mehr durch Investitionen und Innovationen auf absolute Gewinnsteigerungen zählen können, stellen sie Investitionen ein.

Damit wird die „Urkraft“ des Kapitalismus, die zu stetigem Wirtschaftswachstum führt, entmachtet. Eine Lösung dieses Problems liegt in einem Investitionsgeschehen, das nicht aus unternehmerischem Profitmotiv gespeist wird, sondern sich statt am privaten Gewinn am gesellschaftlichen Wohlergehen orientiert. Dies kann nur von Unternehmen im gesellschaftlichen Eigentum oder solchen Organisationsformen erwartet werden, deren Führung Innovation und gesellschaftlichem Wohlstand verpflichtet ist. Auch genossenschaftliches Eigentum oder breite Mitarbeiter:innen-Beteiligung könnten das klassische Unternehmen als künftige Organisationsform ablösen. In einem solchen anzustrebenden System gilt es, die Dynamik der Wirtschaft und die Bereitschaft für Innovationen aufrechtzuerhalten (Pkt. 5). Das kann im Übergang zu einem gemischten System führen, in welchem die profitorientierte Logik auf die dafür absolut notwendigen Bereiche beschränkt wird.

2. Finanzierung des Pensions- und Gesundheitssystems (inklusive Pflege)

Das in Mitteleuropa übliche Umlageverfahren, wo die Auszahlung (von Pensionen, Gesundheitsleistungen und Pflege) durch laufende Einnahmen gedeckt wird, schafft bei alternden und schrumpfenden Gesellschaften Probleme. Anstelle kapitalgedeckter Finanzierungen, wie sie in den angelsächsischen Ländern üblich sind, sind andere Finanzierungsformen zu diskutieren, etwa vollkommene Steuerfinanzierung à  la Dänemark, die Erhöhung bzw. Abschaffung von Höchstbeitragsgrundlagen in der Krankenversicherung, oder Hybridfinanzierungen durch den schrittweisen Aufbau öffentlicher Kapitaldeckung (à la Schweden)[xv]. Allerdings geht dabei ein größerer Anteil des Finanzierungsrisikos auf den einzelnen Leistungsbezieher:innen über, da in stagnierenden Wirtschaften nicht mit andauernder positiver Rendite bei Kapitalanlagen zu rechnen ist[xvi].

Grundsätzlich ist eine direkte Staatsfinanzierung der Pensions-, Gesundheits- und Pflegeversorgung zu erwägen, die nicht der Marktlogik und deren Risiken unterliegt, etwa über Notenbankfinanzierung. Vor einer gesamten Systemumstellung sind dringend einzelne Bereiche anzugehen: etwa die Vereinheitlichung des Pensions- und Gesundheitssystems sowohl von der Beitrags- als auch auf der Leistungsseite, eine stärkere Präventionsorientierung der Gesundheitsdienste und vieles andere mehr.

3. Anpassung bzw. Rückbau der materiellen Infrastruktur

Kleinere Gesellschaften benötigen ceteris paribus weniger Schulen[xvii], weniger Krankenhäuser und kleinere Verwaltungsapparate. Das bewirkt weniger laufende Kosten, jedoch verursacht die vorzeitige Abschreibung dieser Vermögenswerte erhebliche Ausgaben („stranded assets“). Straßen, Verkehrslinien, Kommunikationsnetze und kulturelle Vermögenswerte sollten nicht rückgebaut werden, da sie vielfach auch für die nichtmateriellen Wohlstandsfaktoren maßgeblich sind. Dennoch könnten hier Anstöße für eine effizientere Leistungserbringung helfen, althergebrachte Strukturen zu reformieren, sprich „alte Zöpfe abzuschneiden“ – wie etwa den österreichische Föderalismus-Wildwuchs.

4. Geringeres Steueraufkommen bei gleichzeitig hohem Finanzierungsbedarf für Sozial- und Verteidigungssysteme

Ein weitgehend auf Erwerbseinkommen, Beschäftigtenzahlen[xviii] und Arbeitsstunden ausgelegtes Steuersystem gerät bei schrumpfender Beschäftigung in Bedrängnis. Hier wird die Frage der Besteuerung von gewinnbringenden Dienstleistungen (Digitalplattformen, Automatisierung) in Form der oft als „Maschinensteuer“ verunglimpften Wertschöpfungsabgabe wieder virulent – eine Debatte, die angesichts der arbeitssparenden Effekte der Automatisierung ohnehin notwendig ist. Eine systematische Überprüfung des Steuersystems in Bezug auf Steuervermeidung, ungleiche Hebesätze, Steuergerechtigkeit und Nachhaltigkeitskalkül ist jedenfalls erforderlich.

Die jüngste Diskussion über die Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit der EU und der Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) kann – wenn sie durchgesetzt wird – zu massiven Problemen bei schrumpfender Bevölkerung führen: sowohl durch die größere Schwierigkeit, „wehrfähiges“ Personal zu rekrutieren, als auch durch verstärkten Druck auf die öffentlichen Haushalte. Gerade die demografische Entwicklung bietet Anlass, diese teuren und eindimensionalen Ziele grundsätzlich zu überdenken.

5. Sicherstellen der Dynamik des Wirtschaftssystems und der Gesellschaft, besonders der Innovationskraft

„Alte“ und insbesondere schrumpfende Gesellschaften gelten generell als resignativ und stagnierend, weil sie nicht dem Bild des „immer mehr“ entsprechen und weniger attraktive Renditechancen bieten. Längere Lebensarbeitszeiten bauen zwar auf viel Erfahrung auf, doch die Risikobereitschaft und Innovationsfreude sind bei älteren Menschen meist geringer ausgeprägt. Daher müssen neue Anreize für gesellschaftlich relevante Innovationen geschaffen werden, um die Dynamik zu erhalten – durch öffentliche Teilhabe, kommunikative Beteiligung, Forschungs- und Förderprogramme für soziale Innovationen und Zukunftsbereiche. Dazu zählen z. B. soziale Interaktion, Nachbarschafts- und darüberhinausgehende gegenseitige Hilfen; gesellschaftlicher Zusammenhalt und Verantwortung, der Einsatz neuer Technologien und das nicht nur in den Arbeitsabläufen der Unternehmen, sondern auch in persönlichen Dienstleistungen sowie die Förderung regionaler und lokaler Kreisläufe.

6. Ausrichtung der Produktions- und Dienstleistungsstruktur auf alte/geringere Bevölkerung und Nachhaltigkeit

„Missionsorientierte“ Forschung, Entwicklung und Industriepolitik (nach Mazzucato) sollten auf das „Leben im Alter“, auf immaterielle öffentliche Güter und Grundversorgung (siehe Pkt. 7), Automationsunterstützung für Pflege und Gesundheit, Programme für bessere Integration von Migrant:innen sowie die Überarbeitung von Lehrplänen nach internationalen Best-Practice Beispielen ausgerichtet sein. Künstliche Intelligenz kann hier gezielt eingesetzt, sowohl durch Unterstützung der physischen Arbeit der Pflegepersonen als auch durch Hilfeleistungen für die Betroffenen vieles leisten.

7. Betonung der Bedeutung von öffentlichen Gütern gegenüber dem Privatkonsum

Das derzeitige neoliberale Paradigma forciert den privaten Konsum als Hauptziel der Wirtschaft und vernachlässigt die Bereitstellung öffentlicher Güter. Künftig sollte ein starker Fokus auf der Bereitstellung öffentlicher Güter liegen (Bildung, Volksgesundheit, Sicherheit, Nachhaltigkeit, Mobilität und Klimaschutz).

8. Betonung der nicht einkommensbezogenen Teile eines guten Lebens

Das (materielle) BIP als primärer Wohlstandsindikator[xix] sollte kritisch hinterfragt werden. Bei schrumpfender oder stagnierender Bevölkerung und Wirtschaft müssen kulturelle und ökologische Werte, Nachbarschaft, produktive Freizeit und Work-Life-Balance stärkerer in den Mittelpunkt der Politik gerückt werden. Dazu gehört auch die gerechtere Aufteilung freiwilliger Care-Arbeit (etwa durch ein verpflichtendes Sozialjahr) sowie flexiblere Arbeitszeitmodelle. Durch Stärkung der nichtmateriellen Faktoren des Wohlbefindens – deren „Produktion“ oft außerhalb des Marktes stattfindet – kann das individuelle Lebensglück des Einzelnen auch bei stagnierendem Einkommen gesteigert werden. Um Arbeitskräfte in diese gemeinwohlbezogenen Bereiche zu lenken, sind staatliche Planung und gezielte Interventionen erforderlich.

Fazit

Eine durch niedrige Geburtenraten stagnierende oder gar schrumpfende Gesellschaft hat durchaus Vorteile. Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme können lernen, damit produktiv umzugehen, anstatt zu versuchen, das derzeitige Wirtschafts- und Arbeitsvolumen durch Immigration, Steigerung der Erwerbsquoten und Produktivitätssteigerungen zwanghaft aufrechtzuerhalten[xx]. Besonders Massenimmigration führt zu gravierenden gesellschaftlichen Akzeptanz- und Integrationsproblemen. Diese Sichtweise bedeutet nicht, jegliche Zuwanderung grundsätzlich abzulehnen[xxi], wohl aber, mit einer kleineren Gesellschaft und Wirtschaft leben zu lernen. Sie entlässt auch nicht die EU-Staaten aus der Verantwortung, für die derzeit in der EU lebenden Immigrant:innen bessere Integrationsmöglichkeiten zu schaffen und sie damit dem heimischen Arbeitsmarkt zugänglich zu machen.

Japan, als jenes Industrieland, in dem Schrumpfungstendenzen am frühesten aufgetreten sind, versucht seit 30 Jahren („lost decades“), am Ziel der Steigerung des nominellen BIP festzuhalten. Dies hat unter anderem zu einer öffentlichen Verschuldungsrate von über 230 % des BIP geführt – was das System äußerst volatil und abhängig von den Finanzmärkten macht. Eine Ausrichtung am Wohlstand[xxii] des Einzelnen wäre der bessere Weg statt einer Fixierung auf die Steigerung des gesamten BIP.

Ein langsamer, gut geplanter Übergangsprozess erfordert eine Vielzahl an sozialen und politischen Innovationen.

In Akzeptanz der Schrumpfung soll die Gesellschaft lernen, die schwierigen Auswirkungen des Übergangs von einem System permanent steigenden BIP und wachsender Erwerbstätigkeit zu meistern und von den positiven ökologischen und auch gesellschaftlichen Folgen geringerer wirtschaftlicher Aktivität zu profitieren. Ein starker Anreiz für die Umstellung liegt in der sichtbaren Darstellung der Schäden an Gesellschaft, Personen und Umwelt, die das bisherige System verursacht[xxiii], sowie dem Aufzeigen der Interessen, die an der Beibehaltung dieses Systems festhalten. Der Übergang ist machbar, benötigt jedoch neues Denken, neue Maßnahmen und neue politische Verfahren, ökonomisches Know-how über makroökonomische Zusammenhänge und viel politische Kraft, um die Bevölkerung auf diesem neuen Weg mitzunehmen. Ein langsamer, gut geplanter Übergangsprozess erfordert eine Vielzahl an sozialen und politischen Innovationen. Strategische Planung unter starker Einbeziehung der Bevölkerung ist dafür unerlässlich.

Dieser Policy Brief beschreibt die groben Konturen eines solchen Transformationsprozesses. Viele schwierige Details müssen weiter ausgearbeitet werden; die politischen Barrieren sind immens. Die von den „Grenzen des Wachstums“ auf ökologischer Ebene vorgezeichneten Konturen und Instrumente können dabei als inhaltliche Grundlage dienen. Am Ende kann ein höherer Wohlstand pro Person stehen, bei dem die immateriellen Faktoren – Gesundheit, gesellschaftlicher Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit – geringere materielle Einkommen mehr als kompensieren. Eine Konzentration auf öffentliche Güter kann auch die besorgniserregende Ungleichheit von Einkommen, Vermögen und Zugang zu Leistungen reduzieren und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.


Quellen und Literaturverzeichnis

Cassidy, J. (2023). Capitalism and its critics. Farrar, Straus and Giroux.
Engler, J., Kretschmer, M., Rathgens, J., Ament, J., Huth, T., & von Wehrden, H. (2024, April). 15 years of degrowth research: A systematic review. Ecological Economics.
European Commission. (2024a). Ageing Report 2024 (Institutional Paper 279). https://economy-finance.ec.europa.eu/document/download/971dd209-41c2-425d-94f8-e3c3c3459af9_en
Felber, C. (2018). Gemeinwohlökonomie. Piper.
Ferracioli, L. (2025, October 6). Depopulation: An ethical perspective [Auguste Comte Lecture]. London School of Economics. https://lselive.eckoenterprise.net/events/20251006/webcast
Guger, A., et al. (2008). Analyse alternativer Finanzierungsformen der sozialen Sicherungssysteme. WIFO.
Haug, F. (2004). Sozialistischer Feminismus: Eine Verbindung im Streit. In R. Becker & B. Kortendiek (Eds.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Keen, S. (2022). The new economics: A manifesto. Polity Press.
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Knittler, K., & Haidinger, B. (2016). Feministische Ökonomie: Eine Einführung (2nd ed.). Mandelbaum Verlag.
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Marois, G., Bélanger, A., & Lutz, W. (2020). Population aging, migration, and productivity in Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences, 117(14), 7690–7695. https://doi.org/10.1073/pnas.1918986117
Mazzucato, M. (2021). Mission economy: A moonshot guide to changing capitalism. Penguin Books.
Meadows, D. H., Meadows, D. L., Randers, J., & Behrens, W. W. III (1972). The limits to growth: A report for the Club of Rome. Potomac Associates Books.
Piketty, T. (2014). Capital in the twenty-first century. Harvard University Press.
Piketty, T., & Sandel, M. (2025). Die Kämpfe der Zukunft: Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert. C. H. Beck.
Pinkus, D., & Kirkegaard, J. (2025). The macroeconomic impact of ageing, EU immigration policy and pension expenditures (Bruegel Working Paper 24/2025). https://www.bruegel.org/sites/default/files/2025-10/WP%2024%202025_0.pdf
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Fußnoten

[i] Laut Ferracioli (s. u.) leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ländern mit einer Fertilitätsrate von weniger als 2,1.
[ii] United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division. (2017). World population prospects: The 2017 revision. United Nations.
[iii] Statistik Austria. (2025). Bevölkerungsprognosen für Österreich und die Bundesländer.
[iv] Dieser „leidet“ einerseits unter einer abnehmenden Akzeptanz, andererseits darunter, dass die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft immer stärker ein „autonomes“ Leben im Ruhestand fordert – unabhängig von den gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen.
[v] (Guger et al., 2008)
[vi] Während Digitalisierung und Automatisierung die Produktivität einzelner Arbeitsprozesse steigern können, weisen viele Expert:innen darauf hin, dass physische zunehmend durch digitale Arbeit ersetzt wird. In welchem Ausmaß der verstärkte Einsatz Künstlicher Intelligenz Arbeitsplätze künftig ersetzen, ergänzen oder neu schaffen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Schon jetzt jedoch führt selbst die High-Tech-Produktion zur Freisetzung zahlreicher Arbeitskräfte.
[vii] In diesem Policy Brief geht es „nur“ um die geplante Zuwanderung, nicht um jene Immigrant:innen, die aufgrund von Not, Armut, Wassermangel, repressiver Regime etc. „von uns ungewollt“ nach Europa strömen. Diese Immigration aus anerkannten Asylgründen wird wahrscheinlich auch weiterhin stattfinden und jedenfalls auch Anpassungsprobleme für die sozialen Systeme und die Akzeptanz im Lande schaffen. Auch Immigration von einzelnen Spezialist:innen soll weiterhin möglich sein.
[viii] Vgl. European Commission (2024a) sowie Pinkus & Kirkegaard (2025): “A low probability of a sustained rebound in fertility rates effectively leaves the EU with continuously high positive net-migration levels as the only route to mitigate the economic effects of ageing” (Bruegel Working Paper 24/2025).
[ix] Die Kritik reicht von der unzureichenden Aussagekraft des BIP als Maß gesellschaftlichen Wohlstands bis hin zu den ökologischen und sozialen Folgen des bestehenden Wachstumsparadigmas.
[x] Vgl. hierzu etwa Schulmeister (2018), der einen eigenständigen Ansatz entwickelt, sowie Keen (2018).
[xi] Dies stellt eine Alternative zu der von mir vorgeschlagenen Vorgehensweise dar, neben Arbeits- und Kapitalproduktivität auch eine „Umwelt-“ und „Politik“-Produktivität in ökonomische Modelle und die Wirtschaftspolitik zu integrieren. Einen ersten Vorschlag dazu habe ich in einem Beitrag vom 23. Juni 2015 veröffentlicht: Der Bericht der fünf Präsidenten zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion
[xii] Vgl. dazu den Ageing Report der Europäischen Kommission (2024a) sowie die in dieselbe Richtung gehenden Vorschläge des Think Tanks Bruegel (siehe Pinkus & Kirkegaard, 2025).
[xiii]  Das BIP pro Kopf ist hier nur als Symbol für eine am pro-Kopf ausgerichtete Wohlfahrtsmessung zu sehen, da die gesamte BIP-Messung grobe Mängel aufweist.
[xiv]  Vgl. dazu etwa den UN Human Development Index sowie weitere Ansätze, die darauf abzielen, gesellschaftliche Wohlfahrt adäquat zu erfassen.
[xv]   Hier ist zu beachten, ob die Arbeitnehmer:innen durch Umlagefinanzierung und den Aufbau eines Pensionsstocks doppelt belastet werden oder ob – wie in Schweden – höhere Beitragssätze als bei uns erforderlich sind beziehungsweise bereits vorhandene Fonds eingesetzt werden können.
[xvi]  Die Sozialstaatsfinanzierung dem bestehenden neoliberalen Modell mit seinen verursachenden Finanzmärkten und deren inhärenter Krisenanfälligkeit zu überlassen, wäre, ähnlich wie Finanzminister Rudolf Edlinger sagte, „den Hund zum Wächter der Wurst zu machen“.
[xvii] Laut Financial Times vom 1. September 2025 sind in Griechenland aufgrund eines Mangels an Schulkindern bereits 5 % weniger Volksschulen geöffnet als noch vor sieben Jahren. Am 7. September 2025 kündigte der Premierminister ein „Entlastungspaket“ in Höhe von 1,6 Milliarden Euro an, um die Bevölkerung zu einer höheren Geburtenrate zu motivieren. Seit der Finanzkrise haben etwa 500.000 Griecher:innen das Land verlassen, wodurch die Auswirkungen der niedrigen Fertilitätsrate von 1,4 deutlich verschärft wurden.
[xviii] In unserem System werden nur Erwerbseinkommen und öffentliche Pensionen zur Gesundheitsfinanzierung herangezogen. Betriebspensionen und die 3. Säule unterliegen hingegen nicht der Beitragspflicht, ebenso wenig wie Kapitaleinkünfte – auch nicht jene von Erwerbstätigen.
[xix] Vgl. dazu einen Großteil der im Literaturverzeichnis aufgeführten Titel.
[xx] In diesem Sinne plädiert auch der frühere Chef der Finanzmarktaufsicht in England, Adair Turner (2025), für die positiven Aspekte, die mit einer schrumpfenden Bevölkerung verbunden sind – ganz im Gegensatz zu vielen Mainstream-Politiker:innen.
[xxi] Die internationalen Regelungen zur Asylgewährung müssen weiterhin gelten, jedoch sollte der Ruf nach pauschaler Arbeitsmigration ausgeschlossen werden. Für die bereits im Land lebenden Migrant:innen müssen die Aufnahmeländer verstärkt Akzeptanz fördern, Multikulturalität unterstützen und Mechanismen zur besseren Integration in den Arbeitsmarkt entwickeln.
[xxii] Es ist hervorzuheben, dass die vorgeschlagene Fokussierung auf „pro-Kopf“-Maße keineswegs dahingehend interpretiert werden darf, dass gesellschaftliche Wohlfahrt anstelle des Bruttoinlandsprodukts – innerhalb derer individuelle Wohlfahrt anzustreben ist – nicht die paradigmatische Orientierung vorgeben soll. Dabei distanziere ich mich ausdrücklich von Margeret Thatchers Äußerung „There is no such thing as society“ und möchte keinesfalls mit dieser in Verbindung gebracht werden.
[xxiii] Siehe hierzu die Überlegungen von J. M. Keynes (1930), in denen er die befreienden Möglichkeiten des Produktivitätsfortschritts und der damit verbundenen Reduzierung der Arbeitszeit aufzeigt, die ein gutes Leben anstelle höherer Einkommen ermöglichen. Die Skidelskys greifen diese Gedanken in ihrer Arbeit auf (Skidelsky & Skidelsky, 2012).

Über den Artikel

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jener Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Schlagwörter
Wirtschaft, Wirtschaftswachstum, Gesellschaft, Demografie, Geburtenrückgang, Immigration

Zitation
Bayer, K. (2025). Schrumpfen lernen: Neue wirtschaftspolitische Wege im demografischen Wandel. Wien, ÖGfE Policy Brief, 06’2025.

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Dr. Kurt Bayer
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Dr. Kurt Bayer war am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), im Bundesministerium für Finanzen (Gruppenleiter für Wirtschaftspolitik und Internationale Finanzinstitutionen), als Executive Director im Board der Weltbank und als Board Director bei der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London tätig. Er ist Emeritus Consultant am WIFO und Senior Research Associate am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftvergleiche (wiiw). Er verfasst regelmäßig Blogs zu wirtschaftspolitischen Themen: https://kurtbayer.wordpress.com