Handlungsempfehlungen
- Substantiierung der europapolitischen Vorhaben des neuen Regierungsprogramms
- Erarbeitung konkreter Vorschläge für eine mögliche Vertragsreform und Schmieden von Allianzen mit anderen Mitgliedstaaten
- Öffentliche Begründung und Debatte der Vorhaben
Zusammenfassung
Die ersten dreißig Jahre österreichischer Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) sind geprägt von enthusiastischer Zustimmung zum Beitritt, ökonomisch motiviertem Pragmatismus, bürokratischem Management, Enttäuschung, Selbstbehauptung, Pendelschlägen zwischen schwankenden Zustimmungsraten und offenem Europaskeptizismus. Im Kontext der „Polykrise“ (Jean-Claude Juncker) – vom Zerfall des Sowjetkommunismus, den Balkankriegen, der Ablehnung des Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden über die Finanz- und Fiskalkrise, den Brexit, die vor allem (bürger)kriegsbedingten Flüchtlingsbewegungen, die COVID-19-Pandemie samt Inflation bis zum Krieg in der Ukraine – dominieren in Österreich europapolitische Parteiendiskurse, die zwischen allgemeinen Europabekenntnissen und souveränitätsorientierten intergouvernementalistischen Positionen pendeln. So ging nach drei Jahrzehnten Mitgliedschaft die radikal rechte europaskeptische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mit 28,8 % erstmals als Wahlsiegerin aus der Nationalratswahl 2024 hervor. Schon zuvor in den Wahlen zum Europäischen Parlament von 2024 hatte die FPÖ mit 25,3 % den ersten Platz errungen. Diese propagiert zwar keinen EU-Austritt, wohl aber desintegrierende Positionen und den Zusammenschluss ähnlicher Parteien aus allen EU-Staaten im Namen eines losen „Europa der Vaterländer“. Nach dem Scheitern der Regierungsbildung der FPÖ mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) offenbart die Regierungserklärung der ÖVP, der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und den NEOS – Neues Österreich und Liberales Forum von 2025 ein ambivalentes Bild: neben dem allgemeinen Bekenntnis zur EU und der Sicherung des „österreichischen Lebensmodells in einem gemeinsamen Europa“ wird die „staatliche Souveränität“ betont, enthält das Kapitel „Österreich in der Europäischen Union“ ein „klares Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip als Baustein Europas“. Wie die daran anschließenden Vorhaben von der Vertiefung des Binnenmarktes (inklusive Kapitalmarktunion) bis zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ohne weiteren Souveränitätsverzicht und einer Diskussion über die Neutralität zu realisieren sind, bleibt der Text schuldig. Beiläufig taucht in der Punktuation das Vorhaben „Einleitung einer Vertragsreform auf Basis der Ergebnisse der Zukunftskonferenz“ auf.
Die Konstruktion der europäischen Einheit hatte jedoch von Anfang an die Bereitschaft zum Souveränitätsverzicht zur Voraussetzung. Wer eine starke Union nach innen und als globalen Machtfaktor will, muss eine stabile Balance zwischen europäischer und nationaler Souveränität, zwischen supranationaler Ordnung und Subsidiarität finden und öffentlich begründen können. Erst damit kann die Union handlungsfähig und demokratisch legitimiert werden.
Die Pendelschläge der österreichischen Europapolitik
Der lange Weg Österreichs in die Europäische Union
Österreichs europäische Geschichte beginnt nicht mit dem EU-Beitrittsansuchen von 1989. Wenn wir die Rolle der Habsburgermonarchie im europäischen Konzert der Mächte außer Acht lassen, so ist nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs die auf einen Europäischen Föderalismus zielende Paneuropa Initiative Richard Coudenhove-Kalergis der 1920er Jahre erwähnenswert, denn sie fand bei namhaften europäischen und österreichischen Politiker:innen und Intellektuellen Unterstützung, bevor die Republik zunächst im Austrofaschismus und dann im Anschluss an Nazi-Deutschland, dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah versank. Befreiung und Begründung der Zweiten Republik führten zwar erst 1955 mit dem Staatsvertrag zu vollständiger Souveränität unter der Bedingung militärischer Neutralität, aber auch relativ früh zu einem politischen Interesse an einer Beteiligung am entstehenden europäischen Einigungsprojekt. Zwar blieb Österreich der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aufgrund von Vorbehalten der Alliierten und vor allem der Sowjetunion verwehrt, nicht aber 1960 die Mitbegründung der Europäischen Freihandelszone (EFTA). Schon 1961 beginnen österreichische Bemühungen um eine Annäherung der EFTA an die EWG, die durch das Interesse Großbritanniens am EWG-Beitritt umso dringlicher erschien, als die EFTA ohne Briten erheblich geschwächt worden wäre. Schon vor dem EGKS-EWG-Beitritt Großbritanniens gemeinsam mit Irland und Dänemark im Jahre 1973, gelang der österreichischen Bundesregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky 1972 der Abschluss eines eigenen Freihandelsvertrags mit der Gemeinschaft. Doch erst in den 1980er Jahren und angesichts der großen Umbrüche in der Sowjetunion Michail Gorbatschows erhielt die Perspektive eines Beitritts zu den Europäischen Gemeinschaften neuen Auftrieb und gipfelte im Ansuchen von 1989, dem mythischen Jahr, in dem der Eiserne Vorhang fiel.
Befreiung und Begründung der Zweiten Republik führten zwar erst 1955 mit dem Staatsvertrag zu vollständiger Souveränität unter der Bedingung militärischer Neutralität, aber auch relativ früh zu einem politischen Interesse an einer Beteiligung am entstehenden europäischen Einigungsprojekt.
Österreichs Politik hatte aber in den 1980er Jahren eine eigene turbulente Entwicklung genommen. Nach dem Jahrzehnt sozialdemokratischer Alleinregierung mit ihrem kontinuierlichen Ausbau des Wohlfahrtsstaates und der liberalen Demokratie, der konsensualen Willensbildung der Sozialpartnerschaft und des wirtschaftspolitischen Korporatismus erwuchs dem dominanten Zweiparteiensystems der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) Konkurrenz von links und von rechts: 1986 zog die Grüne Partei – entstanden aus kommunalen und regionalen Ökologie-, Demokratie- und Friedensbewegungen – in den Nationalrat ein, während die in den 1950er Jahren entstandene Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ihre kurze liberale Phase nach dem Muster der Freie Demokratische Partei (FDP) beendete und mit ihrem neuen Obmann Jörg Haider wieder eine rechtsradikale Kehrtwendung vollzog. Neben der Rückkehr zu den faschistoiden, xenophoben und antisemitischen Wurzeln gewann die FPÖ wachsende Zustimmung mit ihrer Kritik am politischen Establishment, dem Korporatismus und schließlich dem EU-Beitritt. Hatte die FPÖ seit ihrer Gründung 1956 den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften befürwortet, so kippte sie nun in einen protektionistischen Nationalismus. Die Grünen wiederum lehnten den Beitritt wesentlich aus demokratie- und sozialpolitischen Gründen ab und plädierten für Reformen von außen. Nach der Volksabstimmung von 1994, in der die Wähler:innen mit 66,6 % und einer Wahlbeteiligung von 82,3 % für den Beitritt votierten, stimmten die Grünen im Nationalrat mehrheitlich für das einschlägige Gesetz und verschrieben sich fortan der Reform von innen. Ihr erster Europaabgeordnete und späteres Mitglied in den Konventen zur Verhandlung der EU-Grundrechtecharta und des Verfassungsvertrages Johannes Voggenhuber sollte ein Garant dafür werden.
Österreichs Politik hatte aber in den 1980er Jahren eine eigene turbulente Entwicklung genommen.
Für die Bundesregierung unter Bundeskanzler Franz Vranitzky und Außenminister Alois Mock, der die Beitrittsverhandlungen führte und nach 13 Monaten abschließen konnte, war die Stimmung in der Öffentlichkeit, in den respektiven Parteien und nahestehenden Interessenorganisationen von Arbeitnehmer:innen, Bäuer:innen und Kleinunternehmer:innen, nicht nur positiv und bedurfte erheblicher Überzeugungsarbeit. Die überwältigende Mehrheit der Bürger:innen befürwortete die österreichische Neutralität und befürchtete deren Erosion durch den Beitritt. Die Überzeugung gelang dank der Geschlossenheit der Bundesregierung in diesem Projekt und ihrem Fokus auf die wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft. Es war das letzte erfolgreiche Vorhaben einer großen Koalition, jedenfalls in dieser transformativen Dimension für die nationale Politik und Ökonomie. Denn anders als Schweden und Finnland, die gleichzeitig beitraten, leitete Österreich sofort die Vorbereitungsschritte zur Übernahme der gemeinsamen Währung ein. Jedoch in der Tiefe des Systems verliefen Anpassungen an die neuen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen keineswegs friktionsfrei, während der allgemeine Enthusiasmus der Volksabstimmung allmählich verflog.
Die Überzeugung gelang dank der Geschlossenheit der Bundesregierung in diesem Projekt und ihrem Fokus auf die wirtschaftlichen Vorteile der Mitgliedschaft.
EU-Beitritt und Demokratie
Dabei hatte in demokratiepolitischer Hinsicht der österreichische Nationalrat eine in Europa einmalige verfassungsrechtliche Verankerung seiner Informations- und Mitspracherechte erwirkt. Da die Regierungsparteien in der auf die Volksabstimmung folgende Nationalratswahl kurzfristig ihre Verfassungsmehrheit verloren hatten und bei Aushandlung und Verabschiedung der EU-Begleitgesetze auf die Opposition angewiesen waren, konnte diese sich mit weitreichenden Forderungen nach Information und Mitbestimmung in EU-Angelegenheiten durchsetzen. Dafür wurde der EU-Hauptausschuss und später ein EU-Unterausschuss eingerichtet, in denen „bindende Stellungnahmen“ das Entscheidungspouvoir der Regierungsmitglieder im Rat der EU und im Europäischen Rat mitdefinieren. Minister:innen können nur aus „zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründen“ von diesen Stellungnahmen abweichen und müssen dies dem Nationalrat gegenüber rechtfertigen, der sich erneut damit befasst. Analoges Recht gilt für den Bundesrat, wenn von der EU-Gesetzgebung Länderkompetenzen betroffen sind. Seit dem Vertrag von Lissabon können beide Kammern EU-Vorhaben einer Subsidiaritätsprüfung unterwerfen und eine entsprechende Rüge an die Europäische Kommission richten und beim Gerichtshof der Europäischen Union einbringen. Nach der Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Jahre 2012 als Maßnahme gegen die Finanz- und Fiskalkrise der Eurozone kam es zur Einrichtung eines Unterausschusses des Budgetausschusses im Nationalrat mit Mitbestimmungsrechten in finanziellen Angelegenheiten des ESM.
Schon im ersten Jahr nach dem Beitritt hat der Nationalrat seine Mitspracherechte eindrucksvoll in Anspruch genommen, nicht ohne Kritik der Regierungsmitglieder, die ihren Spielraum am Brüsseler Verhandlungstisch eingeengt sahen. In den dreißig Jahren Mitgliedschaft haben die EU-Ausschüsse 89 solcher Stellungnahmen verabschiedet. 17 dieser Stellungnahmen fielen allerdings auf das erste Jahr der Mitgliedschaft, während sie in den darauffolgenden Jahren stark abnahmen und mehr und mehr nicht bindenden Ausschussfeststellungen und Verhandlungsmandaten wichen. Die Rückkehr der großen Koalitionen mit Verfassungsmehrheit im Jahre 1996 führte wohl auch zu entsprechender Parteidisziplin und damit größerer Freiheit der Regierungsmitglieder in ihrem Handeln auf EU-Ebene. Dennoch kam es in der Geschäftsordnung des Nationalrates zur Einrichtung des sogenannten „Feuerwehrkomitees“, das den beständigen Austausch zwischen den Regierungsmitgliedern bei wichtigen Verhandlungen in Brüssel und den Parlamentariern ermöglichte. Damit sollte im Falle von Differenzen zwischen den Positionen auf EU-Ebene und der Notwendigkeit von Zugeständnissen österreichischer Vertreter:innen ein Konsens im Nationalrat ausgelotet werden. Bisher tagte das Feuerwehrkomitee jedoch nur sieben Mal zwischen 2000 und 2011, zuletzt im Zusammenhang mit der Einrichtung des ESM.
Schon im ersten Jahr nach dem Beitritt hat der Nationalrat seine Mitspracherechte eindrucksvoll in Anspruch genommen, nicht ohne Kritik der Regierungsmitglieder, die ihren Spielraum am Brüsseler Verhandlungstisch eingeengt sahen.
In den drei Jahrzehnten EU-Mitgliedschaft hielten die EU-Ausschüsse des Nationalrates und des Bundesrates insgesamt 547 Sitzungen ab und erteilten 107 Verhandlungsaufträge an die Regierungen. Sie leiteten 102 Mitteilungen und 37 Subsidiaritätsrügen an die EU-Kommission weiter, wobei mit 34 Rügen das Gros dem EU-Ausschuss des Bundesrates entstammte. Der Nationalrat verfügt zudem über Mitsprache bei der Entsendung von österreichischen Vertreter:innen in die EU-Organe, von der Kommission bis zu den Gerichten. Dabei kommt es regelmäßig zum Schlagabtausch zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien, da letztere Hearings mit allen Kandidat:innen einklagen. Doch bisher verweigerten die Regierungen ein solches Vorgehen aus Datenschutzgründen.
Nicht zuletzt ist das Informationsrecht des Nationalrates und des Bundesrates zu erwähnen: Während in den Anfangsjahren die Organe mit einer undifferenzierten Flut von EU-Dokumenten überschüttet wurden, deren Relevanz und Entwicklung in den Verhandlungen auf EU-Ebene die Abgeordneten kaum einschätzen konnten, gelang es erstens die auch allgemein öffentlich zugängliche EU-Datenbank einzurichten (bis Ende 2024 stehen 950.000 Dokumente zur Verfügung) und seit 2003 die Regierung zu kurzen erklärenden Darstellungen von EU-Vorhaben vor den Ausschusssitzungen zu verpflichten.
Dazu kommen die viermal jährlich stattfindenden Europastunden, in die mittlerweile auch die österreichischen EU-Abgeordneten und Gäste aus EU-Organen eingeladen sind. In der COSAC (Konferenz der Europaausschüsse) wird der Meinungsaustausch mit den Parlamenten aller anderen Mitgliedstaaten gepflegt, während die Plattform IPEX (Interparliamentary EU Information Exchange) Wissen über die verschiedenen Positionen der Parlamente im Begutachtungsverfahren zu EU-Gesetzgebungsakten vermitteln soll.
In der Dominanz der Exekutiven aber liegt das eigentliche Demokratiedefizit der Union.
Mit der beständigen Ausweitung der Rechte des seit 1979 direkt gewählten Europäischen Parlaments, das – mit Ausnahmen – nun im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren als gleichberechtigter Ko-Gesetzgeber des Rates etabliert ist, und der nationalen Parlamentsrechte im Allgemeinen und in Österreich im Besonderen haben die Europäer:innen das Demokratiedefizit der Union weitgehend korrigiert. Aber wie wirken diese Maßnahmen und werden sie auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen? Beide Fragen sind mit Vorsicht zu beantworten: Die Mitspracherechte der Parlamente sind in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet und werden über die Jahre hinweg mit unterschiedlicher Intensität wahrgenommen; die Arbeit der parlamentarischen Ausschüsse erringt in vielen Mitgliedstaaten wie auch in Österreich nur geringe und diskontinuierliche mediale Aufmerksamkeit, die Europastunden dienen oft mehr akuten parteipolitischen Auseinandersetzungen ohne EU-Bezug, in den Wahlen zum Europäischen Parlament dominieren nach wie vor nationale Debatten und dienen immer wieder als Schaubühne für Politiker, die manchmal gar keine Absicht hegen, das Mandat auch anzunehmen, in Brüssel geringe Ambitionen zur Politikgestaltung übernehmen oder durch Abwesenheit glänzen. Vor allem bleibt die Kommunikation zwischen EU-Parlamentarier:innen und der nationalen Öffentlichkeit prekär, zumal auch das mediale Interesse an ihrer Arbeit eingeschränkt ist. Dagegen gelingt es den Regierungen sich als die wahren europapolitischen Entscheidungsträger darzustellen. In der Dominanz der Exekutiven aber liegt das eigentliche Demokratiedefizit der Union. Denn die Balance zwischen Legislative und Exekutive definiert den Kern der repräsentativen Demokratie, während beide Organe der Judikative unterliegen.
Die politische und sozioökonomische Wirklichkeit entsteht in der Mikrophysik der Macht.
Um diese Balance zu garantieren, müssten die Parlamentarier:innen auch auf nationaler Ebene die Mühen der Vermittlung der EU-Politik an ihre Wählerbasis auf sich nehmen. Diese Aufgabe kann aber ohne Interesse der Medien in all ihren Formaten nicht gelingen. Und deren Interesse kann sich nicht auf einzelne Highlights oder Skandale reduzieren, es muss auch die oft komplexen Details der europäischen Gesetzgebungsprozesse, die Positionen anderer Mitgliedstaaten und die Kräfteverhältnisse in der Union in den Fokus nehmen. Das Integrationsprojekt beruht nicht nur auf Vertragsänderungen, den großen Vorhabensberichten der Europäischen Kommission oder auf den Gipfeln des Europäischen Rates, sondern auch auf den Ergebnissen der täglichen Aushandlungsprozesse zwischen den nationalen und supranationalen Ebenen und zwischen den Organen der EU. Die politische und sozioökonomische Wirklichkeit entsteht in der Mikrophysik der Macht.
Koalitionen, „Sanktionen“ und neue Pendelschläge in der österreichischen EU-Politik
Die größte nationale und europäische Aufmerksamkeit kam der österreichischen Regierungsbildung zwischen ÖVP und FPÖ im Jahre 2000 zu. Die Entscheidung des ÖVP-Obmannes Wolfgang Schüssel, trotz des Versprechens im Falle einer dritten Position in der Nationalratswahl von 1999 in Opposition zu gehen, Verhandlungen mit der europaweit als rechtsradikal eingestuften FPÖ aufzunehmen, sorgte für einen Eklat. Die Initiative des französischen Präsidenten Jacques Chirac, des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel führte zur Verhängung von „diplomatischen Maßnahmen“ der vierzehn EU-Mitgliedstaaten gegen die österreichische Bundesregierung, die eine Einschränkung der Beziehungen auf administrativer Ebene zum Ziel hatten. Die Regierung verwandelte diese Maßnahmen in das Narrativ der „EU-Sanktionen gegen Österreich“, um einen „Schulterschluss“ der Nation gegen den als ausländische Einmischung in die österreichische Regierungsbildung definierten Übergriff zu erzwingen. Die Maßnahmen der Vierzehn waren rechtlich problematisch, da sie wohl als nationale Positionen konzipiert, aber auf dem Papier der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft verschickt worden waren. Damit bekamen sie den Anstrich einer EU-Maßnahme, für die die Union einer rechtlichen Grundlage entbehrte. Schließlich einigte man sich auf einen Besuch von drei „Weisen“ unter der Leitung des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari, denen die Prüfung der Einhaltung von EU-Recht inklusive Menschen- und Minderheitenrechte durch die neue Regierung und die FPÖ im Besonderen oblag. Der Weisenbericht kritisierte vor allem das österreichische Asylregime, die FPÖ-Rhetorik und deren Strafverfolgung politischer Gegner und empfahl weitere Beobachtung. Damit fanden die Maßnahmen ihr Ende, aber in Österreich blieb das Narrativ von den EU-Sanktionen aufrecht. Doch die eigentliche Herausforderung für die Koalition war die geringe Qualifikation und relativ hohe Fluktuation von FPÖ-Minister:innen, was das Handeln auf europäischer Ebene beeinträchtigte, und schließlich 2003 das Auseinanderbrechen der FPÖ in zwei Parteien. Die umstrittene Koalition wurde mit dem abgespaltenen Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) fortgesetzt, an deren Ende 2007 der Wahlsieg der SPÖ und eine Regierungsbildung mit der ÖVP als Juniorpartner standen.
Die österreichische Politik kam nicht zur Ruhe und die großkoalitionäre Stabilität der Vergangenheit nicht zurück.
Es folgt das Jahrzehnt der „großen Koalition“, die aber mit der Welt vor dem EU-Beitritt nur wenig gemein hatte: vier SPÖ-geführte Regierungen unter drei verschiedenen Kanzlern, Zerwürfnisse zwischen den Koalitionspartnern und innerhalb der beiden Regierungsparteien, der Aufstieg von Sebastian Kurz und der Erfolg der ÖVP, der Wiedereintritt der von Hans-Christian Strache geführten FPÖ in die Koalition und deren Austritt in Folge der „Ibiza-Affäre“, die Bildung einer neuen Koalition von ÖVP und Grünen, das Ende der Kanzlerschaft Kurz aufgrund von Korruptionsvorwürfen, dazwischen Expert:innen- und Interimsregierungen. Die österreichische Politik kam nicht zur Ruhe und die großkoalitionäre Stabilität der Vergangenheit nicht zurück.
Während die Europäische Union nach der erfolgreichen Einführung und Akzeptanz des Euro mit einer Reihe von Krisen konfrontiert ist, entwickelt die österreichische Europapolitik in diesem Jahrzehnt interessante Facetten. Die erste Krise der Union entsteht aus der Ablehnung des Verfassungsvertrages im Jahre 2005 in den Referenden von Frankreich und den Niederlanden. Oberflächlich betrachtet kam dieses Nein umso überraschender, als der Vertrag nicht wie üblich in einer diplomatisch ausgehandelten und in einer Regierungskonferenz verabschiedet und in nationalen Parlamenten ratifiziert wurde. Man hatte nicht zuletzt als Antwort auf die Debatten um das Demokratiedefizit der Regierungskonferenz einen Konvent aus europäischen und nationalen Parlamentarier:innen und Regierungsvertreter:innen vorgeschaltet, die in langen und detaillierten Debatten einen Entwurf mit wichtigen Neuerungen vor allem in demokratiepolitischer Hinsicht ausgearbeitet hatten. Der österreichische Grüne EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber wurde für seine Arbeit gemeinsam mit dem deutschen CDU-Abgeordneten Elmar Brok von einer „Jury aus internationalen Journalisten und Journalistinnen zur Wahl der engagiertesten EU-Parlamentarier“ zum Mister Konvent gewählt.
Während die Europäische Union nach der erfolgreichen Einführung und Akzeptanz des Euro mit einer Reihe von Krisen konfrontiert ist, entwickelt die österreichische Europapolitik in diesem Jahrzehnt interessante Facetten.
Während die Union nach dem Schock der negativen Referenden den Ratifizierungsprozess stoppte und sich eine Reflexionspause verschrieb, beschlossen die Mitglieder des Europäischen Rates das Gros der neuen Bestimmungen in den Vertrag von Lissabon aufzunehmen und diesen parlamentarisch zu ratifizieren. Auch in Österreich stimmten die Nationalratsabgeordneten im April 2008 mit großer Mehrheit dem Vertrag zu. Die parlamentarischen Debatten wurden von heftigen Protesten verschiedener Organisationen begleitet, die eine Volksabstimmung forderten. Diese wurde von der FPÖ auch im Nationalrat vertreten und medial von der Kronen Zeitung unterstützt. Da im Juni 2008 die irische Bevölkerung in einem Referendum den Vertrag abgelehnt hatte, vollzog der SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, der sich zuvor vehement gegen eine österreichische Volksabstimmung ausgesprochen hatte, eine populistische Kehrtwendung. Gemeinsam mit dem neuen Parteivorsitzenden und späteren Bundeskanzler Werner Faymann schrieb er einen Brief an den Herausgeber der Kronen Zeitung, in dem die Autoren nach den üblichen Europabekenntnissen dem irischen Referendum Tribut zollten und Volksabstimmungen über künftige Vertragsänderungen auch in Österreich versprachen. Dies führte zur Aussage des ÖVP-Vizekanzlers Wilhelm Molterer „Es reicht!“ und zur Aufkündigung der Koalition. Von einer Volksabstimmung sollte jedoch in der neuen SPÖ-ÖVP-Koalition angesichts der Vertragsänderung von 2012, die mit Artikel 136 (3) AEUV die Einrichtung des Stabilitätsmechanismus nachträglich legitimierte, keine Rede mehr sein. Mit dem Personalwechsel von Faymann zu Christian Kern als neuem Bundeskanzler sollte wiederum eine Kehrtwende zu einer neuen europapolitischen Offensive entstehen, die allerdings nur kurz währte und mit dem Ausscheiden von Kern aus der Politik endete. Kerns besondere Beziehungen zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Unterstützung für dessen berühmte Europarede mit ihren ambitionierten Integrationsschritten an der Universität Sorbonne von 2017 hatten in der SPÖ ebenso wenig Begeisterung ausgelöst wie sein Plan Spitzenkandidat einer europäischen Liste für die Europawahl 2019 zu werden. Nur spekulieren kann man über die Wirkung des Engagements des Vorstandsvorsitzenden der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) Kern in der Flüchtlingsbewegung von 2015.
Neben der Flüchtlingskrise stellte die in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgelöste Finanz- und Fiskalkrise 2008 eine besondere Herausforderung für die Eurozone dar. Die alte Bruchlinie zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern mutierte nun zu einer manifesten Opposition von Mitgliedstaaten des „frugalen“ Nordens gegen den „verschwenderischen“ Süden, obwohl neben Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und Zypern auch Irland massiv von der Krise betroffen war. Beide Krisen hatten erhebliche innenpolitische Wirkungen, die den Aufstieg von Sebastian Kurz in der ÖVP vom Integrationsstaatssekretär zum Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und schließlich zum Bundeskanzler förderten. Es war das Ende der alten christlich-sozialen ÖVP und der Auftakt zu zwei Wahlerfolgen der neuen, die in einer restriktiven Flüchtlingspolitik und in einer Neupositionierung der EU-Politik ihre Themen setzte. Erstere fand ihren Ausdruck in der Darstellung des Bundeskanzlers als „Mann, der die Balkanroute schloss“ und eine Allianz mit dem ungarischen Präsidenten Viktor Orbán einging; letztere in der Selbstbehauptung des kleinen Österreich gegen die Großen (allen voran Frankreich und Deutschland), in einer Allianz mit den sogenannten „Hanseaten“, einem Bündnis vor allem nordischer Staaten, das zu diesem Zeitpunkt für strenge Budgetdisziplin und gegen eine Transferunion und gemeinsame Verschuldung auftrat. Noch in der COVID-19-Krise und den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen bzw. dem Wiederaufbaufonds („NextGenerationEU“/NGEU) gehörte die österreichische Bundesregierung zu den Verfechtern der 1 %-Grenze für die mitgliedstaatlichen Beiträge zum EU-Budget, während man bei der Ausgestaltung des Rettungsfonds von 750 Milliarden € auf eine Reduktion der Transfers versus Kredite pochte. Hatten Angela Merkel, Emmanuel Macron und Giuseppe Conte für 500 Milliarden an Transfers und 250 Milliarden an Krediten plädiert, endete der Streit mit einer Aufteilung von 390 zu 360 Milliarden. Darüber hinaus verhandelte Österreich gemeinsam mit den Niederlanden einen weiteren Rabatt für ihre Länder, was zu einer Verdoppelung des österreichischen Rabatts auf 565 Millionen führte. Auch in diesem Falle konnte man das Ergebnis als Sieg der Kleinen gegen die Großen verkaufen. Darüber hinaus prangerte Bundeskanzler Kurz die neuen EU-Mittel als Investitionen in „zerrüttete nationale Systeme“ an, ein Seitenhieb auf Italien, das er immer wieder als Nettoempfänger darstellte, obwohl es seit Beginn seiner Mitgliedschaft Nettozahler ist. Als weiterer antieuropäischer Vorstoß ist die 2019 eingeführte Indexierung der Familienbeihilfe je nach Lebensniveau im Wohnortstaat zu erwähnen. Diese Maßnahme wurde 2022 vom Gerichtshof der Europäischen Union als mit EU-Recht unvereinbar aufgehoben und bedingte die Nachzahlung der Beträge an die Betroffenen. Trotz der Wahlerfolge sollten die Regierungen Kurz anders enden als gedacht: so wurde die erste Koalition Opfer der berüchtigten „Ibiza-Affäre“ der FPÖ und die zweite der Untersuchungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA) gegen Kurz und Mitglieder seines Kabinetts in verschiedenen Korruptionsfällen. Dies führte auch zum Ende der politischen Karriere von Kurz, nachdem die Grünen als Regierungspartner einen Personalwechsel verlangt und erreicht hatten.
Es war das Ende der alten christlich-sozialen ÖVP und der Auftakt zu zwei Wahlerfolgen der neuen, die in einer restriktiven Flüchtlingspolitik und in einer Neupositionierung der EU-Politik ihre Themen setzte.
Die Koalition wurde mit dem neuen Bundeskanzler Karl Nehammer fortgesetzt. In dieser entstand ein neuer Konflikt, als die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler dem EU-Renaturierungsgesetz im Rat zugestimmt hatte, obwohl die Bundesländer als Betroffene zunächst geschlossen dagegen gestimmt hatten. Die spätere Abkehr der Bundesländer Wien und Kärnten von dem Länderbeschluss ließ die ÖVP nicht gelten, erwog ein Amtsenthebungsverfahren gegen die Ministerin und eine Nichtigkeitsklage auf EU-Ebene. Beides unterblieb angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl im September 2024, während die für EU-Agenden zuständige Ministerin Karoline Edtstadler betonte, die Bundes- und Länderregierungen würden sich ohnehin der Renaturierung widmen, aber nicht auf der Grundlage eines „Diktats aus Brüssel“. Doch nicht nur sie lieferte einen Beweis für die politikwissenschaftliche These, dass die Europaskepsis auch die sogenannten Mainstream-Parteien (nicht nur in Österreich) erfasst hat. Dazu gehört auch das zweijährige österreichische Veto zum Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens, das erst 2024 nach „harten“ Verhandlungen um ein Grenzschutzpaket zur Eindämmung von Migration aufgegeben wurde. Aber noch im Frühjahr 2025 antwortete ÖVP-Innenminister Gerhard Karner auf die politischen und juristischen Zweifel an der EU-rechtskonformen Begründbarkeit der Suspendierung von Asylanträgen und des Familiennachzugs, dass ihm das EU-Recht „relativ egal“ sei. Höchst seltsam muteten auch die Revirements in der Fiskalpolitik an: War man angesichts der erst allmählich entstehenden Offenbarung des enormen Budgetdefizits zunächst strikt gegen ein EU-Defizitverfahren im Namen einer souveränen Lösungssuche, so revidierte die neue Bundesregierung diese Position zugunsten einer positiveren Haltung, der zufolge ein solches Verfahren kein „Hals- und Beinbruch“ wäre, wie Finanzminister Markus Marterbauer im März 2025 bekundete.
Und was nun?
Das neue Regierungsprogramm wurde im Zeichen großer internationaler Verwerfungen und innenpolitischer, vor allem budgetpolitischer Zwänge entworfen.
Die Nationalsratswahl 2024 brachte der ÖVP massive Verluste ein, dennoch schmiedete sie 2025 eine Koalition mit der SPÖ und den NEOS und gewann dadurch das Kanzleramt. Eine Regierungsbildung mit der FPÖ scheiterte laut Aussagen der ÖVP-Verhandler:innen an dem Unwillen der FPÖ, einer Reihe von Grundprinzipien zuzustimmen, zu denen auch ein klares Bekenntnis zur EU gehörte. Die FPÖ behauptet dagegen, die ÖVP habe zeitgleich Parallelverhandlungen mit den beiden anderen Parteien geführt.
Das neue Regierungsprogramm wurde im Zeichen großer internationaler Verwerfungen und innenpolitischer, vor allem budgetpolitischer Zwänge entworfen. Während das Programm sich letzteren ausführlich widmet, werden erstere kaum berührt. Europapolitisch ist es in vielerlei Hinsicht vage, betont das allgemeine Bekenntnis zu Europa und insistiert zugleich auf die nationale Souveränität und das Subsidiaritätsprinzip als Baustein der europäischen Integration. Unklar bleibt, welchen Beitrag Österreich zum Frieden in der Ukraine leisten will, wie sich die Bundesregierung in der europäischen Debatte zur Aufrüstung der Union angesichts der US-Politik unter der Administration des neuen Präsidenten Donald Trump positionieren will und wie sie angesichts der notwendigen Vertiefungsschritte in der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Neutralität definieren wird. Die Betonung der neutralitätsbedingten Vermittlerrolle mutet in einer Welt, in der bisher nicht einmal die Union eine solche Rolle zu spielen vermochte, wenig überzeugend an. Im Verteidigungskapitel verspricht man zwar die Anhebung der Verteidigungsausgaben auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts und die Partizipation an der Entwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), entsprechend der österreichischen Verfassung“, bleibt aber weitere Ausführungen zum Umgang mit der Neutralität schuldig. Die Passage „Österreichs Sicherheitsinteressen sind primär an der europäischen Peripherie gefährdet. Zur Krisenbewältigung an den europäischen Außengrenzen und darüber hinaus strukturiert Österreich für die Aufgaben der GSVP seine Streitkräfte in hochmobilen und EU-interoperablen Einheiten, insbesondere als Beitrag zur GSVP“, erweckt eher den Eindruck einer Grenzschutzpolitik als einer geopolitischen Strategie. Eine solche kommt stärker in den Bekenntnissen zu den Vereinten Nationen (United Nations Organization/UNO) und ihren Prinzipien zum Tragen.
Die Betonung der neutralitätsbedingten Vermittlerrolle mutet in einer Welt, in der bisher nicht einmal die Union eine solche Rolle zu spielen vermochte, wenig überzeugend an.
Auch das Thema Vertiefung des Binnenmarktes wird nur kursorisch behandelt. Hatten österreichische Bundesregierungen schon bisher sich kaum zu integrationspolitischen Vorstößen, wie sie etwa Macron in seinen beiden Reden an der Universität Sorbonne vorgetragen hat, oder zu den Draghi- und Letta-Berichten kaum artikuliert, so bleibt es auch im neuen Regierungsprogramm bei einer bestenfalls pflichtbewussten Punktation. Dazu kommt, dass sowohl die neue Außenministerin als auch die mit EU-Agenden betraute Kanzleramtsministerin keine Erfahrungen auf EU-politischer Ebene aufweisen können. Während die Novelle zum Bundesministeriengesetz 2025 die Koordination der EU-Politik dem Bundeskanzleramt zuordnet, wird zur Verhinderung von „Alleingängen“ à la Gewessler postuliert, dass für jede Entscheidung eines Ministers/einer Ministerin auf EU-Ebene die Zustimmung der gesamten Bundesregierung notwendig sei. Es ist bemerkenswert, dass es in den parlamentarischen Debatten zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen über die neue Ressortaufteilung und die thematischen Zuordnungen kam, während die Frage über die europapolitischen Zuständigkeiten des Bundeskanzler- und des Außenamtes nicht releviert wurde.
Die österreichischen Bürger:innen sehen aber nicht nur die Union, sondern stets auch das eigene Land in der Verpflichtung.
Dabei sind die Erwartungen an die Europäische Union und ihre Handlungsfähigkeit hoch, das gilt auch für die österreichischen Bürger:innen. Diese sehen aber nicht nur die Union, sondern stets auch das eigene Land in der Verpflichtung. Das Vertrauen in die Union ist in den letzten Umfragen des Eurobarometers (z. B. 102, Oktober 2024, Special Eurobarometer 103.1, Winter 2025) und der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik wieder auf 51 % (+5 %) gestiegen und entspricht damit dem EU-Durchschnitt. Auf die Frage nach dem positiven Bild der Union liegt allerdings der Wert von 38 % für Österreich unter dem EU-Durchschnitt von 44 %. Doch obwohl 25 % der Österreicher:innen die Union negativ sehen, sollte man wohl auch die 37 %, die die Union weder positiv noch negativ sehen, beachten: dieser Wert ist auch Ausdruck einer Normalisierung der EU in den Köpfen der Österreicher:innen, aber vielleicht auch einer abwartenden Haltung, die sich mit den Handlungsergebnissen sowohl der Union als auch der nationalen Politik verändern kann. Denn zugleich sehen die Österreicher:innen die Union tendenziell als schwach und pessimistisch in die Zukunft. Je klarer die Akteur:innen beider Ebenen ihre Ziele und Wege dorthin beschreiben und vor allem begründen können, umso größer wird das Vertrauen der europäischen Bürger:innen in das Mehrebenensystem sein. Rechtfertigung ist ein entscheidendes Merkmal von Demokratie. Das rhetorische Bekenntnis zu Europa und seiner Handlungsfähigkeit bei gleichzeitiger Souveränitätsbehauptung und Infragestellung des EU-Rechts stiftet kein Vertrauen, sondern Misstrauen und Verwirrung und diese sind keine taugliche Grundlage für die Lösung der enormen Probleme, denen die Union, ihre Mitglieder und ihre Bürger:innen gegenüberstehen.
Günter Bischof et al. (eds.) (2020). Myths in Austrian History. Construction and Deconstruction. (Contemporary Austrian Studies vol. 29) UNO Press and IUP.
Stefan Griller et.al. (Hg.) (2015), 20 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs, Verlag Österreich.
Johannes Pollak und Peter Slominski (2024). Österreich. In: Jahrbuch der Europäischen Integration, Hg. Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels, EIP.
Sonja Puntscher Riekmann (2025). Austria’s EU Narrative: From Economic Pragmatism to Bold Self-Assertiveness. In: Hussein Kassim and Adrian Schout (eds.), National Government Narratives. ‚Official Stories‘ of Belonging. Palgrave Macmillan, 253-280.
ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die die Autorin arbeitet, überein.
Schlagwörter
Österreich, Europäische Union, Demokratie, Koalition, EU-Politik, EU-Beitritt
Zitation
Puntscher Riekmann, S. (2025). Die Pendelschläge der österreichischen Europapolitik. Wien. ÖGfE Policy Brief, 03’2025
Impressum
Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
Rotenhausgasse 6/8–9
A-1090 Wien
*******************************************
Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt
Verantwortlich: Dr. Susan Milford-Faber